Montag, 7. November 2011

Die Altonaer Büchertage III


Silbern klingt und springt die Heuer, heut' speel ick dat feine Oos, heute, da ist mir nischt zu teuer, morgen geht scha die Reise los... sang dereinst schon Hans Albers, und wie leicht dieser unschuldige Liedtext sich auf die Altonaer Büchertage übertragen lässt geht schon daraus hervor, daß die kleine Verkaufsveranstaltung überbucht war und potente süddeutsche Handelslöwen trotz hoher Schmiergeldangebote von den unbestechlichen Veranstaltern abgelehnt worden waren zugunsten der einheimischen Antiquariatsfauna, deren letztes öffentliches Erblühen in diesem Jahr nicht nur den warmen Novembertagen zuzuschreiben ist.

Zu Beginn der Veranstaltung sprachen alle Aussteller ein Gebet für die Teilnehmer der parallel stattfindenden Wattenscheider Büchertage, wohl wissend, daß diese allerhöchsten Segens bedurften, alldieweil in Altona die gebratenen Tauben bereits vor der Glasfront des Altonaer Museums kreisten und nur darauf warteten, in die geöffneten Antiquarsmünder hineinzuschnellen. In ihrer Andacht wurden die frommen Händler nur durch das Schnarchen jenes sibirischen Urians unterbrochen, der sich -offenbar unter falschem Namen- erneut die Teilnahme an den Büchertagen erschlichen hatte. Um den Sibirier, dessen Bestand noch furchterregender daherkam als in den beiden Vorjahren ("Gäpolstärtä Einbände von Taim Laif gut fir langä Reisä": auch keine Entschuldigung!), ruhigzustellen, projizierte man von Seiten des Museums direkt neben seinem Stand einen Schwarzweißfilm aus Ostfriesland an die Wand, und tatsächlich war der Mann aus der Eisweite durch die bewegten Bilder nicht wenig bewegt und nahm das Dauerkino als geldwerten Vorteil klaglos hin, von den verdienten Kollegen Olaf Adler, Christian Höflich und Renate Lempart selbstlos mit Keksen, Kaffee und Marzipan gefüttert. Das von ihm in einem alten Ölfaß entfachte Feuer zum traditionellen Räuchern des mitgebrachten Seehundsspecks löschte er allerdings erst, als der mitveranstaltende Antiquar Meinhard Knigge ihm ein wertvolles Buch zur Geschichte der Sonnenbeobachtung schenkte - ein Himmelskörper, der den Mann aus den Weiten der Taiga wohl deswegen besonders interessierte, weil er seiner nur höchst selten angesichtig wird.



Sibirischer Händler mit falsch applizierter Brille, versehentlich (?)
auf Stuhl des Kollegen Knigge (angesichts dessen Bestandes?) einge-
schlafen, trotz guten Zuredens des Kollegen nicht aufwachen wollend.


Am Samstag hub der Handel sturmflutartig an, verebbte aber auch ebenso schnell wieder. Nicht alle der Beteiligten konnten das schmale Zeitfenster nutzen, um ihre Schäflein ins Trockene resp. ihre Bücher an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Da die Veranstaltung nicht im unmittelbarer Nähe zu Weihnachten stattfand, war der vorweihnachtlich-konsumatorische Reflex vielleicht hier und da etwas gehemmt; allerdings zog der in einem Nebengelaß stattfindende Backwettbewerb Bestes Franzbrötchen in Hamburg eine große Schar von Besuchern an, deren körperliche Sättigung durch Mitnahmeeffekte im Non-Franzbrötchen-Bereich (Bücher) abgerundet wurde. Auch hier sorgte der Sibirier wieder für Unruhe, indem er sich unter die Franzbrötchentester mischte, alle 22 verschlungenen Brötchen für "die besten" erklärte und nur durch die mit eindeutigen Posen begleiteten Lockrufe der Kollegin Kaun (Eckert & Kaun, Bremen), es gäbe vor dem Museum umsonst etwas zu rauchen, abgezogen werden konnte - mit dem charmanten Nebeneffekt, endlich Umsätze an seinem Stand zu verzeichnen, da sich das Publikum nun herantraute (das Geld sammelte dankenswerterweise Herr Dr. Lölke, Antiquariat Atlas, ein, der sich als promovierter Philosoph auf so etwas excellent versteht).


Einer der zahlreichen Altäre im Templum Salomonis,
in diesem Falle errichtet von der Kollegin Marion Kaun, Bremen.


Insgesamt zeigte sich bei den Ausstellern eine Tendenz, neben vielen wertvollen und seltenen Büchern auch eine Anzahl preisgünstiger Titel aus dem Varia-Bereich mitzubringen. Ist dies eine Konsequenz der Erfahrungen der ersten beiden Büchertage, die gezeigt haben, daß die Hürde für die Kaufentscheidung seitens der Kundschaft doch niedriger liegt, als es sich die professionell mit hochpreisigen Büchern täglich Befaßten vorgestellt haben? - In jedem Falle ist es einmal eine gute und lehrreiche Erfahrung, sich aktiv einem zwar interessierten, aber nicht immer buchaffinen Publikum und dessen Vorstellungen und Wünschen zu stellen, auch wenn das Ergebnis dieser empirischen Untersuchung gelegentlich enttäuschend sein mag. Auch würde eine Umfrage unter den Händlern durchaus ganz Verschiedenens ergeben: Während die Einen mehrere Verkäufe im dreistelligen Bereich verzeichnen können und das Anbieten billiger Ware für einen kardinalen Fehler halten, gelingt Anderen (trotz angemessen ausgepreisten, ordentlichen Buchmaterials) kein Verkauf über 40 Euro. Hier ist aber nun der Spekulation Tür und Tor geöffnet: Liegt's an der Physiognomie des Anbieters, der Präsentation der Bücher, liegt's an der Gesamtmischung? Der Position des Verkaufsstandes? Dem Chronos, dem Kairos?


Bücher von 5 bis 5000 Euro.
Erste zum Kaufen, letzte zum Bestaunen?


Existiert gar ein elektrisches Fluidum, welches, von der Sonne erwärmt, frei durch den Raum flottierend, plötzlich ohne erkennbaren Grund hier und da seine segenreiche Wirkung entfaltet? Um später dann seine Kraft zu verlieren? Auf daß der verzweifelte Kunde, sich die Haare raufend, zuhause gar nicht mehr begreift, was er mit dem wasserrandigen und zerfledderten Kinderbuch, der Brockhaus-Enzyklopädie von 1920, in der nur ein Band fehlt, und dem Sammelbildalbum Deutscher
Wald ohne Sammelbilder eigentlich anfangen soll, die er unter dem Einfluß des Antiquariats-Äthers erworben hat? Wir werden's wohl nie erfahren. - Ewiglich aber singen nicht nur die Wälder und wahrscheinlich auch die Wale, wenn man sie ließe, ewiglich währet auch eine alte indigene Spruchweisheit aus dem Trans-Ural: Tscheijld schnudkow lo'm obl'm'mbowskoij' 'm' da sprödlwaschwaschwah. Na, also!


Der Blick unter's Bett belegt: Nach wie vor gibt es
im Hamburger Bahnhofsviertel Hotelbetriebe,
die ein Herz für Haustiere haben.


Der Sonntagmorgen war von einer geradezu postkoitalen, schleppenden Depressivität gekennzeichnet, obwohl wahrscheinlich nur wenige der Aussteller im
eigentlichen Sinne koital vorbelastet waren. Auch ist dies Privatsache und soll hier nicht weiter interessieren. Der Sibirier, der erstmals in seinem Leben von den Veranstaltern in einem Hotel untergebracht worden war (die Übernachtung unter dem Tisch war wegen einer museumsinternen Veranstaltung diesmal nicht möglich), berichtete von unhaltbaren Zuständen, enormen Ratten mit roten Augen, gegen die die hoteleigenen Fledermäuse kaum angekommen seien, tollkühn-schmorenden Verkabelungen über zersprungenen Wachbecken und vielem anderem mehr. Die ganze Nacht habe er sich damit beschäftigt, mit den erschlagenen Wanzen überlieferte Flechtmuster auf dem Kopfkissen zu legen. 25 Euro incl. Frühstück seien für diese Belustigungen eindeutig nicht zu viel gewesen. In dieser beseelten Stimmung wendete sich der Unhold sofort an die graue Eminenz des Hamburger Handels, den Kollegen Pankow vom alteingesessenen Antiquariat Pabel, und verlangte die Herausgabe eines seltenen Reimarus-Traktats. Nur der jahrzehntelangen Erfahrung Gottwald Pankows ist es zu verdanken, daß diese Transaktion zur Zufriedenheit aller abgeschlossen werden konnte, obwohl das freche ursprüngliche sibirische Gebot für das Büchlein (2 Fässer ungeräucherten und auch wohl schon etwas ranzigen Seehundsspecks) streng zurückgewiesen werden mußte.


Ökonomisch teilweise inkommensurabel:
Der große Hamburger Gelehrte J.A.H. Reimarus
und bepelzt herumtollende polare Speckrollen.


Der Sonntag war insgesamt schon noch etwas schleppender als der Samstag, aber auch hier gab es Zufriedene und Unzufriedene. Der unbeirrbar aufstrebende Kollege Tautenhahn aus Lübeck gehörte ganz entschieden zu den Ersten. Von den Erlösen seiner im guten Gebrauchtbereich angesiedelten und moderat ausgepreisten Werke konnte er sich ein frühes Büchlein über per Autopsie nicht-nachweisbare Gifte und ihre Herstellung kaufen - angesichts der Konkurrenzsituation in der holsteinischen Hansestadt, die durch ihre große Antiquariatsdichte auffällt, eine sinnvolle und nachhaltige Investition für den nächsten Kollegenstammtisch. Achten Sie in den nächsten Wochen auf die regionale Presse!


Der Antiquariatshandel dient auch pädagogischen Zwecken:
"Und wenn Ihr nicht ordentlich lernen wollt, dann
müßt Ihr später alte Bücher verkaufen..."
Zustimmender Blick der Kollegin Lempart (rechts).


Nachdem es am frühen Nachmittag noch einen kleinen Höhepunkt beim Besucheransturm gab, leerten sich ab 15.00 Uhr dann doch die Reihen ganz erheblich. Nur der nimmermüde Kollege Knöll (Lüneburg - Moderne Literatur, Signierte Ausgaben usw.) verschwand immer wieder mit hochrotem Kopf auf der Herrentoilette. Die Nachfrage der besorgten Veranstalter, ob ihm nicht wohl sei, verneinte er glaubhaft; allerdings käme er mit dem Signieren kaum nach. Eine charmante Aktualisierung der böhmisch-mystischen Auffassung der signatura rerum, die einen Günther Grass erst durch eine Signatur lesbar (und verkäuflich) werden läßt.

Für einen unschönen Abschluß der Veranstaltung sorgte wiederum der Sibirier, der den Aufzug des Museums als zuvor noch nie gesehenes Wunder der Technik übermässig benutzte. Von dem mutigen und durchtrainierten Kollegen Stechern (Antiquariat Halkyone - Altona) darauf hingewiesen, sein notorisches Übergewicht auf diesem Wege bestimmt nicht reduzieren zu können, gab der Zottelbärtige an, ein solches Gerät für seine Jurte erwerben zu wollen, da er von den endlosen Jagden über Schnee und Eis und den Kämpfen mit den Polarbären am Abend immer geschwächt sei. Als der Jakute dann noch aus Langeweile anfing, Manessebändchen der Kollegen mit seiner Harpune an die Mahagonitüren des Museums zu heften, konnte er ein drohendes Hausverbot nur dadurch verhindern, daß er seine Jagdwaffen dem Museum als ethnologische Exponate für lau überließ. Schlau sind sie ja, diese Naturburschen, nur schrecklich unzuvilisiert.


Fachliches und sportliches Vorbild mit Zivilcourage:
Detlef Gerd Stechern auf einsamer Wacht.


Am Abend sammelte man noch gemeinschaftlich Geld für die Teilnehmer der Wattenscheider Büchertage, denn der Hanseat ist traditionell nicht nur elbphilharmonisch, sondern auch wohltätig. Dann stob man auseinander wie die Goldene Horde beim Anblick des Timur. Zweifellos wird es nächstes Jahr wieder Antiquarische Büchertage geben - vielleicht im Dezember, wenn die Vorweihnachtszeit die Stimmung aller Beteiligter befeuert, und mit noch mehr Ausstellern, falls der vom Museum zur Verfügung gestellte Platz es zuläßt?


So komplikationsreich war die Rückreise nicht
für alle Teilnehmer der Altonaer Büchertage;
Kollege Knigge beispielsweise bediente sich eines Taxis.


1 Kommentar:

  1. Otto, wieder ein literarischer Hochgenuß - da bin ich mir mit dem Kollegen Saltzwedel einig!
    Beste Grüße in die Marsch, Thorsten

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