Zu Beginn der Veranstaltung sprachen alle Aussteller ein Gebet für die Teilnehmer der parallel stattfindenden Wattenscheider Büchertage, wohl wissend, daß diese allerhöchsten Segens bedurften, alldieweil in Altona die gebratenen Tauben bereits vor der Glasfront des Altonaer Museums kreisten und nur darauf warteten, in die geöffneten Antiquarsmünder hineinzuschnellen. In ihrer Andacht wurden die frommen Händler nur durch das Schnarchen jenes sibirischen Urians unterbrochen, der sich -offenbar unter falschem Namen- erneut die Teilnahme an den Büchertagen erschlichen hatte. Um den Sibirier, dessen Bestand noch furchterregender daherkam als in den beiden Vorjahren ("Gäpolstärtä Einbände von Taim Laif gut fir langä Reisä": auch keine Entschuldigung!), ruhigzustellen, projizierte man von Seiten des Museums direkt neben seinem Stand einen Schwarzweißfilm aus Ostfriesland an die Wand, und tatsächlich war der Mann aus der Eisweite durch die bewegten Bilder nicht wenig bewegt und nahm das Dauerkino als geldwerten Vorteil klaglos hin, von den verdienten Kollegen Olaf Adler, Christian Höflich und Renate Lempart selbstlos mit Keksen, Kaffee und Marzipan gefüttert. Das von ihm in einem alten Ölfaß entfachte Feuer zum traditionellen Räuchern des mitgebrachten Seehundsspecks löschte er allerdings erst, als der mitveranstaltende Antiquar Meinhard Knigge ihm ein wertvolles Buch zur Geschichte der Sonnenbeobachtung schenkte - ein Himmelskörper, der den Mann aus den Weiten der Taiga wohl deswegen besonders interessierte, weil er seiner nur höchst selten angesichtig wird.
auf Stuhl des Kollegen Knigge (angesichts dessen Bestandes?) einge-
schlafen, trotz guten Zuredens des Kollegen nicht aufwachen wollend.
Am Samstag hub der Handel sturmflutartig an, verebbte aber auch ebenso schnell wieder. Nicht alle der Beteiligten konnten das schmale Zeitfenster nutzen, um ihre Schäflein ins Trockene resp. ihre Bücher an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Da die Veranstaltung nicht im unmittelbarer Nähe zu Weihnachten stattfand, war der vorweihnachtlich-konsumatorische Reflex vielleicht hier und da etwas gehemmt; allerdings zog der in einem Nebengelaß stattfindende Backwettbewerb Bestes Franzbrötchen in Hamburg eine große Schar von Besuchern an, deren körperliche Sättigung durch Mitnahmeeffekte im Non-Franzbrötchen-Bereich (Bücher) abgerundet wurde. Auch hier sorgte der Sibirier wieder für Unruhe, indem er sich unter die Franzbrötchentester mischte, alle 22 verschlungenen Brötchen für "die besten" erklärte und nur durch die mit eindeutigen Posen begleiteten Lockrufe der Kollegin Kaun (Eckert & Kaun, Bremen), es gäbe vor dem Museum umsonst etwas zu rauchen, abgezogen werden konnte - mit dem charmanten Nebeneffekt, endlich Umsätze an seinem Stand zu verzeichnen, da sich das Publikum nun herantraute (das Geld sammelte dankenswerterweise Herr Dr. Lölke, Antiquariat Atlas, ein, der sich als promovierter Philosoph auf so etwas excellent versteht).
Insgesamt zeigte sich bei den Ausstellern eine Tendenz, neben vielen wertvollen und seltenen Büchern auch eine Anzahl preisgünstiger Titel aus dem Varia-Bereich mitzubringen. Ist dies eine Konsequenz der Erfahrungen der ersten beiden Büchertage, die gezeigt haben, daß die Hürde für die Kaufentscheidung seitens der Kundschaft doch niedriger liegt, als es sich die professionell mit hochpreisigen Büchern täglich Befaßten vorgestellt haben? - In jedem Falle ist es einmal eine gute und lehrreiche Erfahrung, sich aktiv einem zwar interessierten, aber nicht immer buchaffinen Publikum und dessen Vorstellungen und Wünschen zu stellen, auch wenn das Ergebnis dieser empirischen Untersuchung gelegentlich enttäuschend sein mag. Auch würde eine Umfrage unter den Händlern durchaus ganz Verschiedenens ergeben: Während die Einen mehrere Verkäufe im dreistelligen Bereich verzeichnen können und das Anbieten billiger Ware für einen kardinalen Fehler halten, gelingt Anderen (trotz angemessen ausgepreisten, ordentlichen Buchmaterials) kein Verkauf über 40 Euro. Hier ist aber nun der Spekulation Tür und Tor geöffnet: Liegt's an der Physiognomie des Anbieters, der Präsentation der Bücher, liegt's an der Gesamtmischung? Der Position des Verkaufsstandes? Dem Chronos, dem Kairos?
Existiert gar ein elektrisches Fluidum, welches, von der Sonne erwärmt, frei durch den Raum flottierend, plötzlich ohne erkennbaren Grund hier und da seine segenreiche Wirkung entfaltet? Um später dann seine Kraft zu verlieren? Auf daß der verzweifelte Kunde, sich die Haare raufend, zuhause gar nicht mehr begreift, was er mit dem wasserrandigen und zerfledderten Kinderbuch, der Brockhaus-Enzyklopädie von 1920, in der nur ein Band fehlt, und dem Sammelbildalbum Deutscher Wald ohne Sammelbilder eigentlich anfangen soll, die er unter dem Einfluß des Antiquariats-Äthers erworben hat? Wir werden's wohl nie erfahren. - Ewiglich aber singen nicht nur die Wälder und wahrscheinlich auch die Wale, wenn man sie ließe, ewiglich währet auch eine alte indigene Spruchweisheit aus dem Trans-Ural: Tscheijld schnudkow lo'm obl'm'mbowskoij' 'm' da sprödlwaschwaschwah. Na, also!
die ein Herz für Haustiere haben.
Der Sonntagmorgen war von einer geradezu postkoitalen, schleppenden Depressivität gekennzeichnet, obwohl wahrscheinlich nur wenige der Aussteller im eigentlichen Sinne koital vorbelastet waren. Auch ist dies Privatsache und soll hier nicht weiter interessieren. Der Sibirier, der erstmals in seinem Leben von den Veranstaltern in einem Hotel untergebracht worden war (die Übernachtung unter dem Tisch war wegen einer museumsinternen Veranstaltung diesmal nicht möglich), berichtete von unhaltbaren Zuständen, enormen Ratten mit roten Augen, gegen die die hoteleigenen Fledermäuse kaum angekommen seien, tollkühn-schmorenden Verkabelungen über zersprungenen Wachbecken und vielem anderem mehr. Die ganze Nacht habe er sich damit beschäftigt, mit den erschlagenen Wanzen überlieferte Flechtmuster auf dem Kopfkissen zu legen. 25 Euro incl. Frühstück seien für diese Belustigungen eindeutig nicht zu viel gewesen. In dieser beseelten Stimmung wendete sich der Unhold sofort an die graue Eminenz des Hamburger Handels, den Kollegen Pankow vom alteingesessenen Antiquariat Pabel, und verlangte die Herausgabe eines seltenen Reimarus-Traktats. Nur der jahrzehntelangen Erfahrung Gottwald Pankows ist es zu verdanken, daß diese Transaktion zur Zufriedenheit aller abgeschlossen werden konnte, obwohl das freche ursprüngliche sibirische Gebot für das Büchlein (2 Fässer ungeräucherten und auch wohl schon etwas ranzigen Seehundsspecks) streng zurückgewiesen werden mußte.
Der große Hamburger Gelehrte J.A.H. Reimarus
und bepelzt herumtollende polare Speckrollen.
Der Antiquariatshandel dient auch pädagogischen Zwecken:
müßt Ihr später alte Bücher verkaufen..."
Zustimmender Blick der Kollegin Lempart (rechts).
Detlef Gerd Stechern auf einsamer Wacht.
Otto, wieder ein literarischer Hochgenuß - da bin ich mir mit dem Kollegen Saltzwedel einig!
AntwortenLöschenBeste Grüße in die Marsch, Thorsten