Montag, 24. August 2009

Antiquarische Himmels=Lust im Hamburgischen



Maxima in Minimis!

Liebe Leser, heute müssen Sie geduldig mit mir sein. Ich gerate leicht in Rage - blase Feueratem - es kocht das Blut, der Herzschlag stockt - die prallen Wangen röten sich - hoch schraubt sich der Stil - die Heroen vergangener Jahrhunderte ziehen in einer Phalanx an mir vorbei - das Breitschwert wird gezogen, wenn auch nur zum Ritterschlag, nicht zum Kampfe - die Ironie wird ironischer, der Ernst ernster, das Pathos pathetischer - Nachsichtig sollen Sie sein, ich bitte Sie recht herzlich, mit mir altem Esel! ---

Ah! Heute gilt es, von Großem zu künden, von Großem, welches in kleiner Gestalt sich camouflierte. Liebe Leser! Freitag Nachmittag reiste ich nach Hamburg. Hamburg! Du Stadt, in der Klopstock seine Oden sang, auf deren Boden ein Lessing wandelte, ein Hagedorn, Du Stadt, die einen Brockes, einen Reimarus, einen Fabricius in ihren Mauern beherbergte! Morgenröte der Frühaufklärung, voll patriotischen Bürgersinns, gediegener Humanität! Tor zu England und der Welt! Hamburg! Dies allein!

Faunisch war der Nachmittag, und fest stand mein Vorsatz, das Antiquariat Halkyone im Lamp'lweg (Altona), dem der versierte Kollege Stechern mit seiner reizenden Gattin vorsteht, zu besuchen. Ein guter Vorsatz! Denn dort fand ich ein Buch, welches zwar nicht zu den großen bibliophilen Raritäten der deutschen Literatur zählt, dessen Autor aber ganz oben auf dem Gipfel des Parnasses wohnt: Jean Pauls Dr. Katzenbergers Badereise, und zwar in der dritten Auflage, gedruckt bei Josef Max in Breslau im Jahre 1849.

Keine bibliophile Rarität, nichts "Großes", wie gesagt, und trotzdem. Oder: Gerade deswegen! Der tapfere Romantikereinband - die Arabesken auf schwarzem Lederrücken (vergrößern Sie bitte das Bild und sehen Sie nur, wie plastisch die Vergoldung hervortritt) - die mit schlichtem Wolkenmarmor bezogenen Deckel - die rührend-ehrlichen Anflüge von Stockfleckchen - das lithographierte Portrait, vom Schwiegersohn des Autors (E. Förster) recht idealisch gezeichnet - die staubigen, marmorierten Schnitte - das charmante Duodezformat (Kollege Stechern spricht von einer "Etui-Ausgabe"): Ist das nicht wunderbar?

Von Jean Paul, liebe Leser, will ich schweigen, sonst endet dieser Bericht nie. Vielleicht ein anderes Mal mehr zu ihm. Nur einige Worte aus der Gedenkrede Ludwig Börnes aus dem Jahre 1825 will ich Ihnen geben, die Sie lächelnd überlesen dürfen, wenn Ihnen danach ist:
Ein Stern ist untergegangen, und das Auge dieses Jahrhunderts wird sich schließen, bevor er wieder erscheint; denn in weiten Bahnen zieht der leuchtende Genius, und erst späte Enkel heißen freudig willkommen, von dem trauernde Väter einst weinend geschieden. Und eine Krone ist gefallen von dem Haupte eines Königs! Und ein Schwert ist gebrochen in der Hand eines Feldherrn; und ein hoher Priester ist gestorben! [...]
Wir hatten Jean Paul, und wir haben ihn nicht mehr, und in ihm verloren wir, was wir nur in ihm besaßen: Kraft und Milde und Glauben und heitern Scherz und entfesselte Rede. Das ist der Stern, der untergegangen: der himmlische Glaube, der in dem Erloschenen uns geleuchtet. Das ist die Krone, die herabgefallen: die Krone der Liebe, die den beherrschte, der sie getragen, wie alle, die ihm untertan gewesen. Das ist das Schwert, das gebrochen: der Spott in scharfer Hand, vor dem Könige zittern und der blutleere Höflinge erröten macht. Und das ist der hohe Priester, der für uns gebetet im Tempel der Natur – er ist dahingeschieden, und unsere Andacht hat keinen Dolmetscher mehr. Wir wollen trauern um ihn, den wir verloren, und um die andern, die ihn nicht verloren. Nicht allen hat er gelebt! Aber eine Zeit wird kommen, da wird er allen geboren, und alle werden ihn beweinen. Er aber steht geduldig an der Pforte des zwanzigsten Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis sein schleichend Volk ihm nachkomme. Dann führt er die Müden und Hungrigen ein in die Stadt seiner Liebe; er führt sie unter ein wirtliches Dach: die Vornehmen, verzärtelten Geschmacks, in den Palast des hohen Albano; die Unverwöhnten aber in seines Siebenkäs enge Stube, wo die geschäftige Lenette am Herde waltet und der heiße beißende Wirt mit Pfefferkörnern deutsche Schüsseln würzt. [...]
So war Jean Paul! – Fragt ihr: wo er geboren, wo er gelebt, wo seine Asche ruhe? Vom Himmel ist er gekommen, auf der Erde hat er gewohnt, unser Herz ist sein Grab.


Zurück zum Buch. - Ich führe in meiner kleinen Sammlung alle Katzenberger-Ausgaben des 19. Jahrhunderts. Gar so viele sind es nicht. Die erste Ausgabe aus dem Jahre 1809 in schönem geglätteten Kalbsleder mit rotem Rückenschild und dezenter Vergoldung steht neben der zweiten, kleinerformatigen, 1823 erschienen, deren lackierter, hellbrauner Ledereinband von einem schweizer Buchbinder mit strenger klassizistischer Vergoldung überzogen wurde. Daneben einige spätere Nachdrucke, Neuausgaben und zahlreiche Werkausgaben, in denen sich der Katzenberger findet. Die dritte Ausgabe -die ich gestern erwarb- ist aber mein Sorgenkind. Ich habe diese Ausgabe immer wieder gekauft, um sie bald wieder seufzend hergeben zu müssen. - Wieso das? Ganz einfach: Da ich den Katzenberger allerorten bewerbe, empfehle, lanciere, infiltriere, werde ich oft nach einer günstigen und trotzdem schönen alten Ausgabe gefragt. Die beiden ersten Ausgaben scheiden naturgemäß aus: Für den Anfang zu teuer! Die späteren Nach- und Neudrucke sind nicht besonders attraktiv, die Wahrheit zu sagen. Es bleibt also
die dritte, im Original-Verlag erschienene Auflage, die alle Vorzüge einer Originalausgabe (sogar mit Portrait des Verfassers!) mit einem sehr übersichtlichen Preis kombiniert. Tja, da gehen sie dahin, meine dritten Auflagen, ärgerlich genug! Zugleich aber Anlaß (einer von vielen), nach ihnen zu suchen, zu reisen, über wehrlose Kollegen herzufallen, mit einem Wort: zu antiquarisieren!

Das schönste habe ich zum Schluß aufbewahrt: Eine kurze Betrachtung über die Individualität meines Exemplars. Auf dessen Hinterdeckel finden sich nämlich zwei kleine zeitgenössische Papierschildchen. Das eine stammt vom Buchhändler, der die Ausgabe verkauft, das andere vom Buchbinder, der den schönen Romantikereinband gefertigt hat. Sehen Sie selbst!


Über die Buchhandlung Perthes, Besser und Maucke, ein Name wie Donnerhall, traue ich mich fast gar nicht, etwas zu sagen. Klicken Sie HIER und HIER wenn Sie eine kurze Orientierung via Wikipedia wünschen. Hamburgs große Buchhandlung! - Meine Freude steigerte sich aber zur Raserei, als ich feststellen durfte, noch einen weiteren Band aus der Werkstatt des Buchbinders Domschke in absolut identischer Ausstattung zu besitzen: Thomas Moores großes Versepos Lalla Rukh in der Übersetzung Friedrich de la Motte-Fouqués, Berlin 1847. Glückliche Coinzidenz! Das Leben der Bücher: Fata habent libelli, certe scio! - Es geht noch weiter: Auf dem Vorsatz findet sich ein handschriftlicher Besitzeintrag aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Alfred Beneke. Es darf uns nun nicht mehr verwundern, liebe Leser, daß dieser Herr ebenfalls Hamburger war; seinerzeit ein bekannter Kaufmann, der einige Jahre in Havanna auf Kuba verbracht hat (es existiert sogar eine Edition seiner Korrespondenz aus dieser Zeit), und nach einem New York-Aufenthalt 1847 in die Heimat zurückgekehrt war. Einige Jahre später dürfte er unser Exemplar des Katzenberger im Sortimentsbuchhandel gekauft haben.

Ist das alles großartig. - Ich breche ab. - Es bedarf nicht immer des ganz Großen, um einen Blick in den Bibliophilenhimmel werfen zu können. Maxima in minimis! Für den Preis eines guten Abendessens mit einer Flasche Wein habe ich mich seit Freitag Nachmittag bis zur Abfassung dieser Zeilen approximativ 71,5 Stunden freuen dürfen, freue mich noch immer und werde mich weiterfreuen.

Eine letzte Bemerkung in eigener und fremder Sache sei erlaubt: Wissen Sie jetzt, warum ich so gerne vom Antiquariat als erotischem Ort dahle? Ahnen Sie, warum ich mich oft über die sinnliche Online-Barbarey ereifere, über das Austreiben der Historie und der Individualität aus dem Buchhandel? Warum ich die alten Tugenden und Formen des Antiquariatswesens so wütend verteidige? An den Moment des glücklichen Findens, den Nachmittag, Hamburg, das Antiquariat Halkyone werde ich jedes Mal denken, wenn ich den Katzenberger aus dem Regal ziehe. Was gibt es Schöneres als ein Buch, das durch seine bloße Existenz in der Gegenwart uns poetisch in seine Vergangenheit entführt, dessen Geschichte nicht bei den Buchstaben haltmacht, sondern sie im Metatext seines Lebenslaufes birgt? (RF Meyer). -
Frei nach Jean Paul (Katzenberger, 3. Aufl., S. 205) gesprochen:
O Internet, warum lässest du so wenige deiner Nutzer einen solchen Nachmittag, ach nur eine Stunde daraus erleben? Sie würden sie nie vergessen, sie würden mit ihr, als mit dem Frühling-Weiß und Roth, die Wüsten des Lebens färben - sie würden zwar weinen und schmachten, aber nicht nach Zukunft, sondern nach Vergangenheit - und sie würden, wenn sie stürben, auch sagen: auch ich war in einem richtigen Antiquariat!
Gehet hin und tuet also! - Das Antiquariat Halkyone
übrigens ist, wenn der Weg nach Hamburg zu weit sein sollte (keiner ist es), im Internet auch zu erreichen. Bitte klicken Sie auf den Eisvogel.

Danke für Ihr Interesse, Ihr Otto W. Plocher

3 Kommentare:

  1. nennen Sie mich einen Erbsenzähler, aber Sie erwarben das schöne Exemplar im Lamp'lweg - und nicht-straße - und der befindet sich in, na gut in Hamburg, aber genauer und schöner doch in - Altona (A. d. S.: so'n lokalpatriotischer Tick, berufsspezifisch bedingt). Das Zuhause von Steinheim, Struensee, Lyser & Co. in "Hamburgs schöner Schwester".

    Was viel wichtiger ist, ein schönes Buch in die richtigen Hände gekommen. Hätten wir doch noch so einen Kunden von Ihrem Schlage...

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  2. Eieiei, freilich: Lamp'lweg. Zu heiß war die strickende Nadel. Schon geändert! Viel schlimmer: Hamburg genannt, Altona aber nicht. Da sey Basedow vor! Ich wußte es wohl, jedoch das Schrot war zu grob, das ich geladen hatte, und vor den freudenfeuchten Augen verschwamm aus 170 Kilometern Entfernung einiges.

    Ich verspreche hoch und heilig einen längeren Beitrag zum befruchtenden Verhältnis von Alt-Hamburg und Alt-Altona im 18. Jahrhundert anhand ausgewählter Bücher.

    Ich wünsche Ihnen Alles, vor allem aber Sammler und Bücherfreunde!

    Freundliche Grüsse, Ihr OW Plocher

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  3. "Guter Kurt!
    Ja, Du gehörst in die gute Gesellschaft. Nach Altona, wo man Wege pflegt und Straßen verachtet. Du bist überhaupt sehr gut! Warum schreibst Du mir, dem Verworfenen, noch?
    Gehorsamst Dein Erich

    ...
    "Du bist ein guter Sohn, ein braver Seelenbruder; Verzeih, daß ich verwandt mit Dir, ich armes Luder!
    Demütigst Dein Erichbruder" (mitgeteilt von MH)

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