Dienstag, 25. August 2009

Geheimnis meines geschäftlichen Erfolgs...


...zugleich der "Einblicke in die Cavernen und Abgründe des menschlichen Herzens" erster Teil.


Liebe Leser,

diese Bekenntnisse fallen mir nicht leicht, aber als ein Mensch, der streng auf die christlichen Traditionen des Abendlands hält, und dem Werte wie Nächstenliebe, Treuherzigkeit, Wahrhafftigkeit und Ehrlichkeit viel, wenn nicht alles, bedeuten, stehe ich gewissermaßen unter "Bekenntniszwang". Verurteilen Sie mich nicht vor der Zeit, hören Sie mich erst an!

Wie Sie sicherlich schon wissen, führe ich neben meinem bibliophilen Buchbestand auch modernere Bücher, geisteswissenschaftliche Studienliteratur, und ganz allgemeine Werke aus allen möglichen Sachgebieten. Dazu zählen auch ältere Klassikerausgaben der Jahrhundertwende, die ja meist wohlfeil sind und trotzdem Freude machen können. Ich selbst habe als ganz junger Mensch mit den Ausgaben der Bongschen und Meyerschen Klassiker-Bibliothek viele Autoren erst lesen und lieben gelernt, bevor ich später mein Herz an deren Originalausgaben verlor... Also bot ich auch brav die 12teilige Fritz-Reuter-Ausgabe des Bong-Verlags (ca. 1920, in 5 Bänden) mit beiliegendem plattdeutschen Wörterbuch in typischen roten Leineneinbänden für ein sehr übersichtliches Geld an.

Die Ausgabe wurde von einer freundlichen Dame bestellt.
Da sie sich in einem entfernteren Außenlager befand (die Ausgabe), machte ich mich bei Schlagregen mit meinem zerfallenden Sechszylinder nächtens auf den Weg. - Der Sturm heulte - umgestürzte Bäume säumten den Weg - Mülltonnen und Bisamratten wehten über die Straße - das Lager wurde mit Mühe erreicht - die abgemagerten, herrenlosen Hunde von der Eingangstür vertrieben - der Strom, falls je vorhanden, war ohnehin ausgefallen - mit einem Griff ins Regal bemächtigte ich mich der Ausgabe - von der Rückfahrt durch Eis- und Nebelmeere schweige ich - dann schlug ich die Bücher gut in Polsterfolie ein, druckte eine Rechung aus und trug das Paket mit einigen anderen am nächsten Tag zur Post. Schon nach wenigen Wochen war die Ausgabe eingetroffen, wie folgende Email belegt, die ich mit gefälliger Erlaubnis der Kundin zitiere:


Sehr geehrter Herr Plocher,

mit großer Freude packte ich heute die Büchersendung aus (Fritz Reuter), alles top und i.O., aber zu meiner großen Verwunderung waren auch Lenaus gesammelte Werke (2 Bände, Bongs Goldene Klassiker) dabei. Sehen genauso aus wie die Reuter-Bände.

Was tun?

Mein Vorschlag: senden Sie mir bitte die Rechnung dazu, es ist eine hübsche Ausgabe und ich habe keine Lust, die Bücher zurückzuschicken. Hoffentlich hat sich noch kein anderer Interessent dafür gemeldet.

Herzlichen Gruß nach Stadland, Ihre XXX YYYYYY.

Das nenne ich menschliche Größe! Wie leicht hätte die Dame mich nötigen können, mein Versagen schamhaft einzugestehen, wie leicht mich zur kostenpflichtigen Rücknahme der Ausgabe zwingen. Nichts dergleichen! Im Gegenteil: Wohlwollen und Freundlichkeit trieben mir die Schamesröte ins Gesicht.

Abends im Bett dann die Erleuchtung: Sollte dieser Fehlgriff, meine Eselei, reiner Zufall gewesen sein? Nein. Zeigte sich darin nicht vielmehr der Fingerzeig einer lieb- und segensreich waltenden Gottheit, auf ein lukratives Geschäftskonezpt hinweisend? Das schon eher!

Ich begann, meinen Lieferungen zunächst schüchtern, dann systematisch und immer frecher zu den bestellten Werken zusätzliche Posten beizulegen. Am Anfang beschränkte ich mich auf Taschenbücher und Bändchen der Inselbücherei und verkaufte auf diesem Wege alle 27 Exemplare von Bindings Opfergang (IB 23) und Brechts Kreidekreis (Edition Suhrkamp 31). Später ging ich zu Fraktur- und Leinenausgaben über. Von den 52 beigegebenen Einzelbänden der fünfbändigen Ibsen-Werkausgabe wurden nur wenige von renitenten Kunden retourniert.

Der Verkausferlös überstieg bei weitem die Kosten der Rücksendungen, zumal ich auch bei der Höhe der Nachforderungen dazulernte. Fast nie kam eine der Beilagen zurück, sehr wohl aber oft die ursprünglich bestellten Werke. Daraus zog ich bald folgerichtig die Konsequenz, daß der Wert der beigelegten Bücher den der Hauptwerke deutlich übersteigen müsse. Schließlich etablierte ich diese Geschäftspraxis auch im Bereich der Alten Drucke. Ich darf mich rühmen, durch das Beilegen einer fragmentarischen Thurneisser-Ausgabe von 1581 zu einem Band der Motorbuch-Reihe Jetzä helfe ich mir selbst (Peugeot 504, Alle Typen außer Diesel) einen solventen Sammler Alter Drucke gewonnen zu haben.

Das von mir entwickelte Geschäftsmodell gedenke ich dahingehend zu vervollkommnen, daß ich sukzessive auf die Auslieferung der eigentlich bestellten Werke verzichten und nur noch die Beilagen expedieren werde - zunehmend auch mit beigefügter Rechnung, die das lästige Nachverhandeln erspart.

Frau XXX YYYYYY aber, die den Anstoß für meine nun ständig wachsende Prosperität gegeben hat, erlaube ich mir, die Lenau-Ausgabe zu schenken. Liebe Frau YYYYYYY: Viel Freude damit! und: Danke!

Freundliche Grüsse Ihr OW Plocher

1 Kommentar:

  1. Genial!

    "Zufall oder Notwendigkeit" wendet sich hier zu einem notwendigen Zufall. Ich bin schwer begeistert, Lernen und sich dabei amüsieren, mehr geht nicht!

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