Donnerstag, 12. Mai 2011

Buchempfehlung: Handbuch Buchverschluss und Buchbeschlag


Liebe Kollegen, Buchfreunde und Sammler,

ich möchte Sie kurz auf ein Buch aus der Feder eines gelehrten Autodidakten hinweisen, welches in grundlegender Weise ein Feld der historischen Buchwissenschaft begeht und beschreibt, dessen Flora bislang noch nicht systematisch bestimmt war. Es handelt sich um das Handbuch Buchverschluss und Buchbeschlag von Georg Adler, erschienen im Ludwig Reichert Verlag in Wiesbaden. Der reichhaltig farbig bebilderte Quartband umfasst 241 Seiten und kostet 98,00 Euro. Zur Verlagsseite des Reichert-Verlags geht es HIER, dann am besten über Autorensuche gehen.

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Der Autor hat sich das hohe Ziel gesteckt, eine systematische Erfassung, Taxonomie und Beschreibung / Benennung der hauptsächlich metallischen Buchschließen und –beschläge „im deutschsprachigen Raum, den Niederlanden und Italien vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart“ vorzunehmen. Der erste Teil ist den verschiedenen Arten der Buchverschlüsse und –beschläge in Übersichtsform gewidmet; dabei wird zugleich eine neue Klassifikation und Terminologie entwickelt. Im zweiten Teil werden die verschiedenen Formen der Verschlüsse und Beschläge den jeweiligen historischen Epochen ihres Vorkommens zugeordnet (8.-20. Jahrhundert; auch moderne Buchkunsteinbände finden Berücksichtigung). Von besonderem Wert ist der dritte Teil, der aus Anhängen mit tabellarischen Kompilationen besteht. In diesem Teil wird die Anwendung der Differentialdiagnosen des ersten Teils auf die konkrete Bestimmung und Beschreibung von Einbänden angewendet; ferner finden sich bebilderte Tabellen mit allen Verschluß- und Beschlagsformen, eine Dokumentation verlorener und beschädigter Verschluß- und Beschlagsteile (für die Praxis des Antiquars von besonderem Wert; hat man doch beständig mit Defekten zu tun und steht auch manches Mal vor restauratorischen Fragen) und vor allem eine mehrseitige Begriffs-Konkordanz, die die ausdifferenzierte neue Terminologie des Verfassers mit den bisher in der Fachliteratur
verwendeten Bezeichnungen abgleicht und zugleich -wie großartig ist das denn?‑ Übersetzungen ins Niederländische, Englische, Französische und Italienische liefert.

Allein die eigene Terminologie, in der die zahlreichen Varianten der Buchverschlüsse und Beschlagsformen beschrieben wird, eröffnet ein wunderbares neues sprachliches Feld, ähnlich wie der Fachjargon älterer Handwerke. Statt jedes Stück Holz in der subtilen Konstruktion eines alten Daches summarisch als Balken bezeichnen zu müssen, unterscheidet der Fachmann ja auch die Sparren vom Rähm, die Abseitenstiele von den Hahnenbalken und die Kopfbänder von den Fußpfetten. Ebenso gliedert sich ein einfacher Ösenverschluß in Dorn, Dorn-Lager, Öse, Riemen, Gegenblech und Scharnierplatte. Neben dem Ösenverschluß existieren Binde-, Wickel-, Knopf-Wickel-, Schleifen-, Aufsteck-, Kappen-, Haken- und Schnappverschlüsse, Stiftriegelverschlüsse, Schnallen- und Einschiebeverschlüsse. Zugleich werden die neuen Bezeichnungen mit den herkömmlichen Begriffen abgeglichen. Hier findet sich allerdings auch diese und jene Lücke: Merkwürdigerweise fehlt im ganzen Buch nach erster Durchsicht der Hinweis auf einen Kopert-Einband, bei dem das Buch ja in flexibles Pergament gewissermassen eingewickelt und dann mit einem (Haken-)Verschluß gesichert wird. Diese spezielle Verschlussart wird unter dem Begriffsmonster Haken-Klappenverschluß mit dem Lager auf der Fläche des Buchdeckels als Sonderform der Ganzmetallschließe bezeichnet – wohl wahr, aber ein Hinweis auf das bekannte Schlagwort Kopert wäre angebracht gewesen.

Soviel aber zur kleinlichen Kritik. – Das Werk wird mit einigen Registern und Verzeichnissen abgerundet: Ein Verzeichnis der Buchbinder, Klausurenmacher und Silberschmiede, einer ausführlichen Bibliographie, einem örtlichen Bestandsverzeichnis der auf über 750 Farbfotos dokumentierten Objekte und einem ausführlichen Sachregister. Einige der dokumentierten Schließen und Beschläge sind signiert oder so originell geformt, dass sie sich tatsächlich regional oder sogar persönlich zuordnen lassen. Der Antiquar wird in den meisten Fällen mit einfachen Standardverschlüssen konfrontiert sein. Mithilfe des Handbuchs wird aber der Blick des Buchbearbeiters für die entscheidenden Feinheiten der Metallarbeit geschärft, so daß vieles, was bislang rätselhaft oder unerkannt geblieben ist, nun Hinweise geben kann.

Auf den beiden unteren Fotos ein Beispiel aus unserem Bestand, eine einfache Standardschließe der Reformationszeit. Interessanterweise ist der Schnitt des Folio-Holzdeckelbandes noch beschriftet, für ein Werk aus der Mitte des 16. Jahrhunderts nicht mehr alltäglich (Albert Krantz: Saxonia. Erste deutschsprachige Ausgabe. Leipzig 1563). Der Reformatoreneinband möglicherweise aus Wittenberg; bei der Schließe handelt es sich um einen Hakenverschluß mit einem Stiftlager auf dem Buchdeckelrand als Riemenschließe, Schließrichtung hinten (Typus BV.3.1.1.; Riemenschließe deswegen, weil der Haken an einem flexiblen Stück Pergament befestigt ist, das zugleich Scharnierfunktion übernimmt). Mazal (1997) bezeichnet diesen Schließentypus noch als Lederschließe mit Metallbeschlag oder einfach Lederscharnier. Das Pergamentriemchen ist mittels eines einfachen, dreifach genagelten Gegenblechs auf dem Vorderdeckel befestigt und unter den Deckenbezug eingelassen. Auf dem Haken selbst erkennt man gravierte Rhombenmuster und eine recht grobe palmettenförmige, mit Strichbündeln verzierte Ausbildung des Fußes. Das Material ist nicht sehr stark, worauf die Biegung des Hakenblechs schon hindeutet.



Und so ist auch die zweite Schließe, genauer gesagt: das Stiftlager, an der schwächsten Stelle abgebrochen. Interessanterweise ist oft nicht das Pergamentriemchen die schwächste Stelle (möglicherwese wegen dessen Flexibilität), sondern das Messingblech. Restauratorisch gesehen ist der Austausch des Stiftlagers ohne weiteres möglich, da einige Hersteller auch heute noch ganz ähnlich gearbeitete Lager anbieten. - Ich hoffe den Band trotzdem verkaufen zu können, möchte Sie aber abschließend noch einmal gerne zum Erwerb des Handbuchs Buchverschluss und Buchbeschlag animieren: Es lohnt sich!


Vielen Dank für Ihr Interesse, Ihr Otto W. Plocher


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