Wie aber ist es, fragt sich der Sibirische Beobachter [einziger rechtmässiger Nachfolger von Johann Andreas Cramers Nordischem Aufseher], mit diesen dreien bestellt? Nun: An Naturschönheiten hat er in seiner engeren Umgebung keinen Mangel. Die leicht beschneiten Hügelketten Nowaja Semljas, die eisige Wasserfurt der Matoschkin Schar, der Jadebusen, die Lüneburger Heide, der Elm-Lappwald, die Wildeshauer Geest, Ostfrieslands endlose Weiten, da ist wunne vil! lange müeze er leben dar inne. Braten mit Sauerkraut gibt's auch in Hülle und Fülle, einwandfrei, dazu Grünkohl mit Speck & Pinkelwurst, Haferbrei mit Ei, Labskaus, Brägenwurst, Blutballen, Grütze und rote Beete, Steckrüben & Stampfkartoffeln, hernach Buchweizenpfannkuchen mit schwarzem Sirup, hmm, hmmmm! Wrschn! Nur beim Thema Bücher, ei ja, da rutscht der Beobachter doch etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Wie verläßlich sind die denn?
Zweifellos gehörten die Altonaer Büchertage (Gott weiß, wieviel Dank den Veranstaltern und dem Altonaer Museum, selbst im Daseinskampf [Schopenhauer!] begriffen, zu sagen wäre) zu den athmosphärisch wundersam-getragenen, schlechthin einfach guten, wahren & schönen Veranstaltungen, bei denen die Verläßlichkeit des Buches sich manifestieren müßte. Und siehe: Ein kulturell interessiertes, nicht zu junges, nicht zu altes, entspanntes und gutgelauntes Publikum adventierte im Altonaer Museum und traf auf eine nicht zu junge, nicht zu alte, entspannte und gutgelaunte Händlerschar, die Bücher von 2,00 bis 5000,00 Euro in schönen Arrangements anbot, gemäß Nehemia 13,16: Sie brachten Bücher und allerlei Ware und verkauften sie, nicht aber nach Offenbarung 18,11: Und die Kaufleute auf Erden werden weinen und Leid tragen um sie, weil ihre Bücher niemand mehr kaufen wird. - So.
Ehem. Kieler Seemann, den Stand bewachend, sich dabei an
Als nach Ablauf des ersten Tages der Vorhang im Tempel fiel und nicht zerriß, war dem Beobachter dies ein Zeichen, daß die Umsätze des ersten Tages zwar als voller Pachterlös des Feldes der Auferstehung, klopstockisch zu sprechen, nicht ganz ausreichen würden; indes war man zufrieden und zog sich mit vielen anderen Ausstellern in ein Lokal zurück, in dem es Schnitzel und Schwarzbier gab, dem der Beobachter über alle Maßen zusprach und mit nunmehr gelockerter Zunge die Damenwelt einerseits über sein wüstes und sinnloses Leben der letzten Jahrzehnte aufklärte, gegenüber einem Mitorganisator der Büchertage, seines Zeichens Technikantiquar in Hamburg, andererseits aber den Fehler beging einzugestehen, eines seiner älteren und wertvollen Werke nicht eingehend collationiert, sondern (Zitat) nur so durchgeratscht zu haben, wird schon stimmen, hö!, was ihm den Zorn der vereinigten Heerscharen in Gestalt eines GIAQ-Vorstandsmitglieds eintrug, das extra aus Südniedersachsen angereist war, um für Recht und Ordnung zu sorgen und das hohe Niveau der Veranstaltung zu untermauern.
Am nächsten Tage traf der Beobachter, aufgekratzt durch die schlaflose Nacht im 24-Stunden-Stadtteil Hammerbrook, frühzeitig im Museum ein. Zuvor war es ihm noch gelungen, mit den Brötchen, die man ihm dort bei einem frugalen Frühstück serviert hatte, zwei Fensterscheiben der Hotellobby einzuwerfen, was ihn milde stimmte und ihn die laufende Stimmensammlung der Kollegen zum Ausschluß seiner Person von weiteren Veranstaltungen übersehen ließ.
Leider war der zweite Tag der kleinen Messe nicht annähernd so gut besucht wie der erste; zumal an wirklichen und wahrhafftigen Sammlernaturen, die am ersten Tage immerhin sich, wenn auch nicht ihre Geldbörsen, geschweige denn deren Inhalte, gezeigt hatten, fehlte es. Die Umsätze schraubten und schleppten sich in Zeitlupe auf einen Pegelstand, der dem des in ewiger Austrocknung befindlichen Aralsees gleichkam. Zudem mußte, unbemerkt von den Ausstellern, über Nacht eine große Teuerung die Hansestadt erschüttert haben, denn allenthalben war lautes Klagen und Preisdrücken zu vernehmen, gemäß Lukas 4,25: Eine große Teuerung war im ganzen Lande. Die tapferen Besucher der Büchertage waren aber trotz des vollständigen Verfalls ihrer Gelder noch fest entschlossen, die Antiquare zu unterstützen, wenngleich diese auch große Abschläge machen mußten. Der Beobachter beobachtete nicht ohne Rührung, wie ein alter Mann sich weinend an ein 2-Euro-Stück klammerte, während seine Frau ihm zuzischte: Unser letztes Geld für die Ketowweln... nu' gib's ihm schon! Da mußte der Beobachter, sonst ganz unbewegter Beweger, mit Thränen im Auge natürlich das kleine Konvolut Manesse-Lederbändchen herausrücken oder gar ein Inselbuch mit Bindings Opfergang - das mit Abstand gesuchteste Buch der Messe.
Der stockende Besucherstrom ließ dem Beobachter Zeit, vor dem Museum einige Crêpes in sich hineinzuschlingen (Hmm! Hmmmm! Wrschn!), zu rauchen oder sich an den Ständen der Kollegen herumzudrücken. Es waren dort wirklich sehr schöne und gute Bücher zu vernünftigen, eher moderaten Preisen zu besichtigen. Daß es nicht immer beim Besichtigen blieb, dafür bürgte die Gier des Beobachters nach neuem Material - außerdem muß die neue Zweigstelle auf Jan Mayen gefüllt werden; das nächste Kreuzfahrtschiff hat sich schon angemeldet. Die Diskrepanz zwischen der eigenen Kauflust und der einiger Aussteller zu jener des allgemeinen Publikums beobachtete der Beobachter mit Argwohn, und er fragte sich insgeheim, wie hoch wohl der Anteil des Kollegenhandels an den Umsätzen insgesamt sei. Bei ihm selbst waren es über 50%; bedenklich auch, daß davon ein nicht geringer Teil auf Nonbooks entfiel - so etwa auf den Abverkauf der bronzenen Hausgöttin des Beobachters, einer Statue, die nur zu Dekorationszwecken mitgeführt worden war. Der Teufel und ein Lüneburger Kollege wissen, wo diese antike Schönheit jetzt ihre Ziegen hütet! Das zweite Nonbook, der Nachguß eines phrenologischen Schädels, war bereits am ersten Tag erfolgreich verkauft - an einen klugen und bekannten Bücherliebhaber.
Nach Kassensturz des zweiten Tages stellte sich beim Beobachter zwar jenes wohlige Völlegefühl ein, dessen wir in dieser traurigen Zeit alle so dringend bedürfen; jedoch lag das teuerste Werk, das ein Privatkäufer erwarb, bei 22 Euro, und nur die relative Vielzahl der Verkäufe ergab ein gutes Gesamtergebnis.
Was den Beobachter zu folgenden Reflexionen führt:
- Darf man wirklich daran glauben, daß die Altonaer Büchertage zur kleinen norddeutschen Leistungsschau werden könnten, also eine Wirkung entfalten, die über das bloße, faktische Hier, heute und jetzt einer zufällig angesetzten Verkaufsveranstaltung hinauszuweisen imstande ist?
- Läßt sich bei Intensivierung der Werbemaßnahmen auf einen anwachsenden Bekanntheitsgrad der Büchertage und eine wesentliche Intensivierung des Publikuminteresses hoffen? Ist es nicht vielmehr sogar so, daß die möglichen Potentiale bereits ausgeschöpft sind und der Bonus eines guten Neuanfangs auf Dauer entfällt, wie man es von einigen kleinen Antiquitätenmessen kennt, die für ihren Fortbestand aktiv kämpfen müssen?
- Geht die Idee, durch das Angebot an qualitätvollen, aber damit eben auch nicht billigen Büchern ein bislang eher buchfernes, aber neugieriges Publikum für die Bibliophilie zu begeistern, denn wirklich auf, oder handelt es sich dabei um reines Wunschdenken angesichts der tatsächlichen Verkäufe?
- Wenn man die Werte der mitgebrachten Ware mit dem Erlös vergleicht: Werden nicht andere Konsequenzen drängender als die Frage, ob man den Qualitätsstandard der ausgestellten Ware halten soll? Gerade angesichts der Tatsache, daß Bücher bis ca. 20 Euro offenbar leicht und gerne gekauft werden und die Erlöse der meisten Kollegen einem guten Wochenendumsatz eines MA-Händlers entsprechen, der vielleicht kein einziges Buch über 10 Euro bewegt hat?
- Ist der Qualitätsanspruch der Büchertage, der die Organisatoren bewegt, nicht eventuell eine Art Trompe-l'oeil-Gemälde? Gemalt in einer Stadt, in der die höhere Buchkultur nun einmal einfach nicht mehr zu etablieren ist, weil man sich anderen Projekten widmet? Und als Trompe-l'oeil-Gemälde vielleicht sogar ökonomisch sinnvollere, weniger anspruchsvolle Modelle verhindert?
Mit diesen kritischen Fragen will der Sibirische Beobachter, der sich nach Publikation dieser Beobachtungen ans Lagerfeuer zu weihnachtlichem Otterbraten und Schamanentrommel zurückzieht, mehr provozieren als infragestellen. Der Beobachter findet es nur fast ein bißchen unverständlich, von gestandenen Kollegen begeisterte Ausrufe zu vernehmen, deren Umsätze -es sei einmal gesagt- im mittleren dreistelligen Bereich lagen. Ökonomisch ist das unhaltbar, und wie weit der Idealismus trägt? Antworten hat er als Beobachter ebensowenig zu geben wie als Händler; aber ist an einem realistischen Blick aufs Ganze interessiert.
Und da es dem Beobachter immer weniger ums Geldzählen als ums Bücherwälzen ging, wird er auch auf den nächsten Altonaer Büchertagen -wenn er noch darf- mit breiter Brust stehen und Bücher aus sechs Jahrhunderten zum Kauf anbieten, denn der Tor macht viele Worte, aber der Mensch weiß nicht, was sein wird (Prediger 10,14).
Danke für Ihr Interesse, Ihr Otto W. Plocher
Lieber Herr Plocher,
AntwortenLöschenwenn das Nobelpreiskomitee im nächsten Jahr noch an Ihnen vorbei kommt, sollen sie den Laden gleich dicht machen.
Selten so gelacht und dennoch nachgedacht.
Ad multos annos!
Peter Fritzen, Kunsthaus am Museum, Trier
die Konspirativen KüchenKonzerte lieben O-W-PLOCHER!
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