zugleich der Fragmente zu einer Geschichte
des Bremer Antiquariatsbuchhandels erster Teil
Liebe Leser,
Zu diesen Taten aber ein andermal! Die heurigen
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Wer aber ist Germar Grimsen? Nun ja, da schauen Sie gefälligst selbst im Internet nach und stoppeln sich die paar Informationen zusammen, die Ihnen mit den Beschreibungen seiner wenigen publizierten Bücher geliefert werden: Gescheiterter Bremer Antiquar, lebt heute hinter Büchern (so auch der Obertitel seines ersten Antiquariats-Romans, der eine ganze Serie begründen soll), gab die erstaunliche Zeitschrift Der Salmoxisbote heraus sowie drei sehr klein gedruckte Antiquariats-Kataloge zur Psychoanalyse, ist Freund und jugendlicher Weggefährte von Sven Regener, mit dem zusammen er auch das angeblich unverfilmbare Drehbuch Angulus Durus (lat. u.a. für Eck-hard... aber das führt zu weit) verfaßte. Heute Privatier und Wohner, zugleich ziemlich universell Gelehrter und -ohnehin leider gerne vergessen- approbierter Religionswissenschaftler und Philosoph (Universität Tübingen), Hölderlinliebhaber, Sammler von Suizidantenliteratur etc. pp. Arbeitet Tag und Nacht an der Fortschreibung seiner Antiquariatsromane und sich daraus ergebender Paratexte.
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Ich kenne keinen Menschen, der so oft recht hätte wie Grimsen. Und das kam so: Im Sommer des Jahres 1997 stand ich kurz vor der Eröffnung meines ersten Ladengeschäfts, des Oldenburger Bücher-Contors, und war vor der großen Baustelle nach Bremen geflohen, um dort Kollegen heimzusuchen und in den Genuß eines feinen indischen Biryanis zu kommen, eine Speise, die in meiner eher bodenständigen Heimatstadt unbekannt war. Ich hatte schon hier und da geplündert und saß in der Admiralstraße in Findorff bei einem reichhaltigen indischen Mahl (ich glaube, der Imbiß mußte wenig später wegen verschiedener Verstöße gegen irgendwelche dubiosen Bestimmungen des Gesundheitsamtes schließen, oder er ist wegen der damals schon recht bröckeligen Propangas-Gummileitung einfach explodiert, wie überhaupt die Admiralstraße nicht gerade ein Aushängeschild überfeinerter hanseatischer Lebenskultur war), saß ich also und bemerkte auf der anderen Straßenseite ein undurchsichtiges, beschlagenes Schaufenster, hinter dem Buchähnliches sich abzeichnete. Von einem Antiquariat in Findorff war mir nichts bekannt, und auch die fettigen Gelben Seiten (vom indischen Wirt herbeigeschafft) gaben keine Auskunft. Bereits hier zeigten sich die mächtigen Fußstapfen eines konsequent sich merkantiler Dienstleistung verweigernden Geistes, denn ein Eintrag in die Gelben Seiten, auch ein kostenfreier, hätte unweigerlich Publikumsverkehr zur Folge gehabt, und wie grausam dieser sein kann, war mir als unbelecktem Neuling natürlich bislang unbekannt. Ich hing vielmehr dem Prinzip "Große Investition - große Rendite" an - ein Köhlerglaube, der sich bei passender personeller Konstitution freilich manchmal bewahrheitet. Über die Grimsen allerdings keinerzeit verfügen wollte.
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Gastronomie bis heute mit großer Skepsis
gegenüber, weil sie von woanders kommen.
Nun ja, das Opake, Unverständliche, Undurchsichtige zieht uns hinan als "Entmaterialisierung des Transparenten" (Roland Barthes) oder wie, jedenfalls näherte ich mich recht unverbindlich der Milchglasscheibe an und erblickte vollgestopfte Repositorien und ein mehrlagig gefülltes Schaufenster. Auf Anhieb erkannte ich durch das Kodenswasser umrißhaft Zettels Traum und eine blaugraue Leinen-Werkausgabe von Sir Walter Scott; der Rest verlor sich im Nebel. Und das in der Bremer Admiralstraße! Die Bestände in Bremen waren ohnehin nicht die allersortiertesten (heute ist das freilich ganz anders); aber hier mußte ein systematischer Geist segensreich walten. Ich verschaffte mir über die mit Zettelwerk verklebte Tür Zutritt zum Innenraum und stieß in jenen Prototyp der buchgesättigten Räucherkammer vor, der in mannigfaltiger Mutation noch heute das bevorzugte Schattenhabitat meines Freundes bildet. Ein gefälliges Halbdunkel verschleierte die Szenerie, nur im Kassen-Hintergrund schien ein großes Tier (Bär oder Oger) zu arbeiten, flankiert von einem indolent dreinschauenden Kind. Auf meine höfliche, gewissermaßen mit dem Hut in der Hand vorgetragene Frage, ob es erlaubt sei zu schauen, wurde mir spöttisches Gelächter zuteil und die abfällige Bemerkung, ich könne ja von draußen hineinschauen, am Ende wolle ich noch etwas kaufen, das habe gerade noch gefehlt. Im übrigen sei das Geschäft geschlossen. Vor mir richtete sich ein hühnenhafter, in schwarze Umhänge gekleideter Mann auf und strich sich zu meiner nicht geringen Verunsicherung die pechschwarzen, langen Haare von den breiten Wangenknochen. Michael Crichtons Dreizehnter Krieger war noch nicht verfilmt, die Requisite nahm aber später zweifellos Anleihen bei dieser Szenerie. Zudem spürte ich instinktiv, daß dieser Creatur ganz sicher nicht mit der Zusicherung, ich werde mich beeilen, bzw. der Forderung, ich werde einen Batzen Geld dalassen und sie solle gefälligst die Regeln bürgerlicher Conversation respektieren, beizukommen wäre. Also verfiel ich auf den albernsten Ausweg und dahlte, ich sei ein Kollege aus Oldenburg, Gott zum Gruß, und wolle gerne... "Kollege! Ha! Aus Oldenburg! Haha! Nun, Herr Kollege!" drosch der schwarze Riesenschatten hämisch auf mich ein, "das trifft sich! Sie werden hier wachen, während ich zur Post gehe und meine Tochter eskamotiere, bitteschön: Da ist die Tür; bewachen Sie sie gut! Ich rechne auf Sie!" und verschwand ungerührt, eine lange Rauchfahne hinter sich herziehend wie der Deubel seinen Schweif. Meine schüchterne Anfrage, ob die Preise denn wohl auch in den Büchern ständen, wurde mit der Bemerkung "Preise! Aha!" und einer leporös-wegwerfenden Geste abgewehrt.
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erforschten buchgeschichtlichen Gebieten der Vorinternetzeit
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Mittlerweile hatte ich etwas Zutrauen in das misanthropische Ungetüm gewonnen (obwohl die negative Prognose für mein Geschäft in Oldenburg mich subcutan schwächte) und wollte das rhetorische Spiel anheizen. Ich forderte Grimsen, der dazu übergegangen war, unter lautem Klagen die Kaffee-Höllenmaschine in Gang zu setzen, auf, sich zu den von mir auf einen Haufen gelegten Bänden zu äußern. Stattdessen ging der mir jederzeit Überlegene, die Situation vollkommen Beherrschende zum Gegenangriff über und wechselte die Gesprächsstrategie - eine für unbekannte Besucher höchst irritierende Guerillataktik, die Grimsen perfekt beherrscht und gnadenlos zur pragmatischen Überwältigung des Gegners einsetzt. Ja, ich hätte mir schöne Dinge herausgelegt, jedenfalls glaubte ich das wohl. Dabei sei dies alles nur Ware fürs Publikum, für "die da draußen!" (Grimsens schwarzer Prophetenarm wies in eine scheinbar weit entfernt liegende Wirklichkeit hinter der Glas- und Wasserwand seiner Schaufensterscheibe) - die eigentlich schönen Bücher seien vielmehr in dieser Kiste verborgen, die er nunmehr unter dem Tresen hervorziehe, und die ein gewisser Doktor K. (nicht mehr rezent), der sehr verdächtig sei und in Bremen die Fäden ziehe, mit einem Gewährsmann gestern zum Tausch herbeigeschafft habe, zum Tausch gegen einen "Haufen Inselbücher" (dies brüllend), weshalb die darin annotierten Preise auch rein symbolisch zu verstehen und zu verachten seien. Er, Grimsen, habe den Inhalt der Kiste nicht geprüft oder aufgerechnet, eine Praxis, die er ablehne - die Kiste sei auf ihn gekommen wie ein Verhängnis oder Vermächtnis.
Was war das nun wieder? Ich grub in der Kiste herum
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Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Der Abend, dem etwas durchaus Orientalisches anhaftete, wurde noch lang - unnötig zu betonen, daß Grimsen in einem komplett mit seiner Arbeitsbibliothek angefüllten, abgedunkelten Holländerhäuschen im Findorff lebt, in seiner schmal bemessenen Freizeit Piranesi-Veduten betrachtet oder seine französischen Revolutions-Petschaften ordnet, die er von Reisen aus Paris, der von ihm geliebten Stadt, mitgebracht hat; daß unter dem Gestrüpp der Brennesseln seines Gartens eine verwitternde Jean-Paul-Büste, die ein Bremer Künstler angefertigt hat, von ferne leuchtet; daß er die Gedichte Hölderlins, den er über alles schätzt, in einem charmant gealterten Exemplar der Erstausgabe (Cotta 1826) verwaltet - die Kollegenschaft hatte den Erwerb des rötlichen Pappbändchens wegen der Abplatzungen am Bezugspapier einst auf einer Auktion verweigert, was dem Kenner genug Stoff zu allerhand Satire und Gelegenheit zum Ewerb bot.
Genug! Wenn Sie nicht zur Lesung kommen, kaufen Sie sich wenigstens das Buch? Almatastr. Das ist nämlich sehr, sehr gut.
Vielen Dank für Ihr Interesse,
Ihr OW Plocher
Lieber Kollege Plocher,
AntwortenLöscheneinen schönen Text haben Sie da geschrieben, gehe ich jedenfalls davon aus. So ganz und gründlich habe ich ihn jedoch nicht lesen können, weil meine Äugelchen nicht gerade die besten sind und ich mit weiß auf schwarz nicht gut zurechtkomme. Wenn Sie so nett wären, mir den Text weiß auf schwarz rüberschicken könnten, wäre ich Ihnen dankbar. Und meine Makula auch.
Schöne Grüße
Ihr Roman Heuberger
Lieber Kollege Heuberger,
AntwortenLöschenich kenne das Problem; der Bildschirmhintergrund sieht auf meinem Bildschirm grau aus, bei fast allen anderen Nutzern schwarz. Ich habe ihn jetzt hellgrau gestellt, vielleicht hilft das. ich hab's so gerne gemütlich auf meinem Blog; bei schwarz auf weiß bekomme ich horror vacui. - Text ist aber zu Ihnen unterwegs.
Beste Grüße Ihr OW Plocher!
Lieber Herr Plocher,
AntwortenLöschenschön haben Sie geschrieben .. und mich neugierig gemacht. Leider führt mein Barsortimenter das Buch nicht mehr, so konnte ich es mir nur gebraucht bestellen ..
Viele Grüße
Markus Groß
Was heißt denn für einen Antiquar "nur gebraucht" ? Besser gehts doch nicht ..
AntwortenLöschenChristoph Schäfer (Heinrich Heine Antiquariat, Düsseldorf)
Auf vielfachen Wunsch nunmehr schwarz auf hellgrau. Ist das so in Ordnung, Herrschaften?
AntwortenLöschenGrimsen erwägt übrigens ein Blog, in dem schwarz auf schwarz geschrieben wird - eine sehr verständliche, lobenswert-schamhafte Haltung und zugleich Ausdruck größter kulturmelancholischer Weltabgewandtheit.
Freundliche Grüsse OW Plocher
Das ist doch Spiegelfechterei. Wenn man einen schwarz-auf-schwarzen Text mit der Maus markiert, wird er schwupp-di-wupp sichtbar. Billiger Trick.
AntwortenLöschenUnd wenn der Mausanzeiger auch schwarz ist? Na? Und dann?
AntwortenLöschen[Interner Vermerk d. Red.: Die Debatte nimmt einen bedenklichen Verlauf. Holzauge, sei wachsam!]
Auch mir, lieber Herr Plocher, hat der Text, sehr, sehr gut gefallen. Weiter so. Wie lange haben wir alle warten müssen, aber siehe: Es hat sich gelohnt. Wir alten Freunde des Salmoxisboten (wir sind nicht mehr viele und werden jährlich weniger durch natürlichen Abgang) haben nicht mehr viel zu lachen, aber jetzt sieht es so aus, als würde der Wind sich drehen, die Sonne wieder scheinen, die Nacht zum Tag werden.
AntwortenLöschenEs muss einmal gesagt werden, dass OW Plocher zu den integersten, intelligentesten, gebildetsten und eloquentesten Menschen gehört, die ich kenne.
AntwortenLöschenMit ihm teile ich die Liebe zur deutschen Literatur des frühen 18. Jahrhunderts, ihm verdanke ich (fast) den ganzen Brockes und manch tiefen Einblick in die Materie. Solche wie OW gibt's nicht mehr viele. Vivat, vivat, vivat! Und dies ohne Ironie.
In aufrichtiger Dankbarkeit und Bewunderung verharrt
Prof.
Markus Zahnhausen
Lieber Otto,
AntwortenLöschendas wirklich Schöne ist ja nicht Dein Text, das wirklich Schöne ist, daß es Grimsen gibt, und nicht nur in einer Bildergeschichte von Sendak. Kennenlernen möchte ich ihn dennoch nicht; die Grenzen der Eigenstabilität sind allzu eng.
Mit besten Grüßen in die Wesermarsch,
Achim Engstler
Lieber Prof. Zahnhausen,
AntwortenLöschenalso, wenn ich mir Ihre Zeilen so recht überlege... direkt gelogen isses ja alles nich'... Jedenfalls besten Dank für diese einen alten & dummen Krauterer großzügigst überschätzenden Zeilen!
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Lieber Achim Engstler,
es ist wohl wahr, daß hier einer der selteneren Fälle zu verzeichnen ist, in dem Realität Literatur übertrifft. - Wessen Eigenstabilitätsgrenzen aber sind gemeint? Nun, halten wir uns einstweilen am Funkeln der Ambiguität schadlos.
Plocher, Sie alter Schwede! Wie habe ich mich gefreut, diese kleine Kolumne zu entdecken. Aber ich muss leider sagen, und das bestürzt mich: Sie sind erschreckend faul. Was ist da los? Schreibmaschine kaputt? Nicht kompatibel mit Internet? Müssen Sie alles mit reitendem Boten schicken?
AntwortenLöschenVoller Sympathie, glühend vor Bewunderung, aber auch streng im Tadel:
Ihr alter Freund Huelsewede!