Sonntag, 20. Dezember 2009

Messebericht Altonaer Büchertage


Liebe Leser, am Sonntag, den 20. Dezember um 18.00 Uhr schlossen sich die Türen des Altonaer Museum hinter den letzten Besuchern der erstmals stattgefundenen Büchertage. Die außergewöhnliche Veranstaltung hinterließ eine erstaunte, zutiefst bewegte Gruppe von 18 Antiquaren und eine Vielzahl (dem Vernehmen nach) begeisterter Besucher, Buchfreunde und Sammler.

In der Krypta gespannte Erwartung vor dem Ansturm


Am Samstag morgen zeigte sich bereits vor der Eröffnung der Messe trotz intensiven Schneetreibens und eisiger Kälte ein starker Andrang von Interessenten vor der Glasfront des Haupteingangs. Das wartende Publikum wurde von den im vorderen Teil der "Krypta" residierenden Händler durch das ostentative Blättern in seltenen und bibliophilen Editionen dermassen aufgeheizt, daß die ohnehin mageren Ergebnisse des Kopenhagener Klimagipfels durch die herbeigeführte weiträumige Schneeschmelze gänzlich annuliert werden konnten.


Bibliophiles Bollwerk mit reizender Antiquarsgattin


Bereits wenige Minuten nach Eröffnung der Pforten wurden die ersten größeren Geschäftsabschlüsse gemeldet. Die Besucherflut brach sich zunächst an den eingangsnahen, bibliophilen Deich- und Bollwerken einiger Hamburger und Bremer Antiquariate, nahm diese aus Leinen, Leder, Pergament und Büttenpapier errichteten Fortifikationen gewissermaßen im Sturm, um sodann die weiter hinten gelegenen Land- und Bücherstände zu überschwemmen. Mit Mühen hielten die Händler, darunter viele erprobte & gestandene hanseatische Fahrensmänner und -frauen, dem Ansturm stand.


Wellen der Begeisterung am Stand einer Bremer Kollegin


Die mit weniger starken Nerven ausgestatteten Kollegen hatten Repräsentanzen in den hinteren Winkeln des Saales bezogen; so etwa war das Antiquariat B. (Hamburg-Othmarschen) in einem unzugänglichen Nebentrakt untergebracht, was aber dem notorischen Geschäftserfolg seines Inhabers keinen Abbruch tat. Im Gegenteil untersuchte das fachkundige und findige, auch teilweise erstaunlich junge und engagierte Publikum buchstäblich jeden Winkel der Messe, sorgte für rege Umsätze und spornte die Antiquare zu Höchstleistungen an, die dabei von einem regelmässig zirkulierenden Kaffee- und Kuchenservice unterstützt wurden. Nicht nur dafür war den Organisatoren der Veranstaltung ein kräftiger & warmer Händedruck sicher.


Promovierter Hamburger Kollege, unter den bewundernden
Blicken einer Dame den Preis eines imaginären Buches erfühlend


Natürlich rein subjektiv und nur pars pro toto sind nachstehend die Erfolge einzelner Aussteller zu erwähnen. Bereits am ersten Tage konnte ein Hamburger Händler einen bemerkenswerten Silbereinband an einen namhaften privaten Sammler vermitteln. Dem folgte der Verkauf größerer Konvolute moderner Buchkunst zu repräsentablen Preisen. Auf die Frage nach den Gesamt-Umsätzen konterte der Antiquar weltmännisch & vieldeutig: "Frage nicht!".

Ein holsteinisches Antiquariat (Kiel) überzeugte mit einer herausragenden Sammlung landeskundlicher Literatur und Reisebücher des 18./19. Jahrhunderts, darunter einer bislang wenig beachteten Rostocker Stadtgeschichte in Großquart. Der in diesem Band befindliche Kupferstich eines Eisenkäfigs, mit dem Steine in der Warnemündung versenkt und später wieder herausgeholt wurden, sorgte für Staunen und längere fachliche Debatten über den Hochstand der Mecklenburgischen Wasserbaukunst des 18. Jahrhunderts. An einem lateinischsprachigen Werk, das sich intensiv mit der Frage der Segnung von Mißgeburten und Aborten aus christkatholischer Sicht befaßte, schieden sich die Geister und das Buch blieb unverkauft.


Kieler Händler mit leger appliziertem Firmenschild,
sich den inakzeptablen Vorschlägen eines sibirischen Kollegen
verweigernd. Unten im Bild Volkskunst aus Nowaja Semlja


Zu unschönen Szenen kam es zwischen einem sibirischen Aussteller (Nowaja Semlja) und eben diesem Kieler Händler anläßlich des Erwerbs einer Sammlung exquisiter englischer Maroquineinbände durch den Sibirier. Der Mann von der Ostsee erklärte auf Befragen, daß er nicht willens sei, die üblichen 66% Rabatt zu geben, da der Sibirier die Preise in den Büchern bereits "heimlich runterradiert" habe, als der Stand unbewacht gewesen sei. Dem Sibirier zufolge aber hatte der holsteinische Kollege ihm zuvor eine Wieland-Übersetzung des Horaz veräußert, die "bewußt fehlpaginiert" war, um den Neuling aus den entlegenen Landesteilen "zu foppen" und ihm mal "richtig einen einzuschenken". Man einigte sich aber in gutem Einvernehmen. Der erfolgsverwöhnte Hanseat erklärte später, daß er das von dem Sibirier unter Einsatz seines gesamten Kapitals erworbene Maroquin-Konvolut selbst "für'n Appel und 'n Ei" gekauft habe und es "wegen er prima Stimmung" gar nicht bereue, nach Hamburg gekommen zu sein, obwohl er "für niedrige fünfstellige Erlöse" eigentlich nicht mehr zu reisen pflege. Der Verlust war für den Sibirier deswegen leicht zu verschmerzen, weil er durch den regen Abverkauf einer unübersichtlichen Sammlung leinengebundener Karl-May-Ausgaben (Bamberg) einerseits, einer bewußt mit Niedrigstpreisen beworbenen Suite von Inselbüchern andererseits einen Großteil der Investitionen wieder einspielen und am zweiten Messetag sogar den Totalausverkauf der Time-Life-Serie "Die Seefahrer" (4°, in blauem Kunstleder) verzeichnen konnte. Über den Antrag mehrerer Kollegen auf Ausschluß des Sibiriers von den folgenden Verkaufsveranstaltungen wegen "unegaler Geschäftspraktiken" wird indes noch zu sprechen sein.


Verwaiste und ästhetisch wenig ansprechende Stände
wie den des sibirischen Kollegen wollen die Veranstalter
der Altonaer Büchertage zukünftig nicht mehr dulden


Daß die Messe vom Publikum durchweg positiv bewertet wurde, war allenthalben zu bemerken und wurde durch den dreifachen (!) Besuch eines bekannten Sammlers belegt, der jedesmal mit Tüten voller Cimelien unter allgemeinem Applaus den Saal verließ.

Besonders rege gestaltete sich der Handel innerhalb der Kollegenschaft, angeregt durch die gute Gesamtstimmung. Aus dem reichhaltigen Sortiment eines auf buchkundliche und bibliographische Titel spezialisierten Antiquariats aus Hamburg-Klein Flottbeck bediente sich enthusiastisch vor allem die junge, aufstrebende Kollegenschaft. Besonders hervor tat sich hierbei ein Lübecker Händler, von dem noch einiges zu erwarten sein dürfte; nicht nur, weil der schätzenswerte Jung-Antiquar sich mit einbandkundlichen Fachpublikationen eindeckte, sondern auch, weil er mit dem Erwerb eines Riesenkonvoluts leder- und pergamentgebundener Rara des 17.-19. Jahrhunderts zugleich die materiale Grundlage für künftige Forschungen & Katalogarbeit erwarb. Da blieb dem Veräußerer des Konvoluts nur das Geldzählen als "schwacher Trost in dürftiger Zeit". - Quantus tremor est futurus, Quando iudex est venturus, Kollege B.!


Aufstrebender Lübecker Händler im Kundengespräch,
jedoch bereits durch ein Konvolut von Pergament- und
Lederbänden rechts außerhalb des Bildes abgelenkt


Bei aller nötigen Geschäftigkeit hatte auch der Scherz seinen Ort auf dem Parnaß der Bücherliebe. Viel Heiterkeit erregte der Versuch jenes bereits auffällig gewordenen subpolaren Händlers, durch ein gezielt auf der Messe erworbenes, handcoloriertes und typographisch in Herzform gedrucktes Liebes-Billet des frühen 19. Jahrhunderts eine von ihm umschlichene Kollegin zu einem gemeinschaftlichen Abendessen zu überreden. Die als Fehlschlag zu bezeichnende Invektive münzte der versierte Hütchenspieler in ein bemerkenswertes Tauschgeschäft um und erlöste für die Weitergabe des Einblattdruckes an eine andere Händlerin unter zähneknirschender Beilage etlicher Rubelscheine ein Ausnahmeexemplar des Bandes von Th. Lederer, "Mutter und Kind. Schwangerschaft, Entbindung und Wochenbett" in rotem Maroquin - ein auch für Nicht-Psychologen mehr als durchsichtiger Handel. Auf die Frage, was er denn mit so viel roten Maroquinbänden wolle, wies der Antiquar auf die enorme Bedeutung dieser Einbände für seine demnächst auf Spitzbergen zu eröffnende Zweigstelle und das bevorstehende Weihnachtsfest hin. Die seriös arbeitende, noch im Hamburger Büchercabinett ausgebildete Kollegin verbat sich naturgemäß weitere Übergriffe auf ihre bemerkenswert erhaltenen und dekorativ gebundenen Bestände von Hausväter-, Wirtschafts- und Biedermeierbüchern des 18. & 19. Jahrhunderts und stellte den Aufdringling mit reichen Gaben selbstgebackenen Fruchtkuchens (mit Nüssen) still.

Am Stand eines Antiquariats aus Hamburg-Hoheluft herrschte eine rege Nachfrage nach naturwissenschaftlichen & landeskundlichen Werken sowie Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts. Eine besonders attraktive Auswahlausgabe der Wolffschen Mathematik konnte vom russischen Handel übernommen werden (gegen Vorkasse), während sich der Kieler Handel für eine Südseereisebeschreibung (mit altcolorierten Tafeln) entschied - die erheblich bessere Wahl. Einer der Organisatoren der Veranstaltung, zugleich führender Technik-Antiquar aus Hamburg-Hohenfelde, konnte ein überaus seltenes kaufmännisches Rechenlehrbuch für die Jugend Hamburgs, ca. 1728, in hervorragendem Zustand vorweisen und nahm den Beifall der Kollegen- und Sammlerschaft mit der Gelassenheit des international operierenden Grandseigneurs hin.


So geschmackvoll wie dieser Händler
-in Nadelstreif und mit Gropius-Cravatte-
präsentierten sich nur wenige Aussteller


Einige der männlichen Aussteller hatten ihre Gattinnen und sogar Familien mitgebracht und spielten diesen ästhetischen Bonus geschickt zur Umsatzförderung aus. Dies ist nicht zu kritisieren und in den heutigen Zeiten mehr als legitim; ebenso wie das abendliche, opulente Festessen, bei dem ein großer Teil der Umsätze zur Stützung der lokalen Gastronomie im Umlauf gebracht wurde.


Allgemeine Ratlosigkeit bei Erörterung des dringlichsten
Tagesordnungspunkts: Wohin nur mit den ganzen Einnahmen?



Von Heimweh und Hunger gequält lauschten die Händler den
bibliographischen Ausführungen eines von den
Veranstaltern
zu Fortbildungszwecken engagierten Supervisors (rechts im Bild)



Mit großem Bedauern und Treueschwüren flohen die Beteiligten am Sonntagabend über das ewige Eis davon, bereichert durch Erfahrungen, Bücher, Einnahmen und unzählbare geldwerte Vorteile, die keinen Zweifel an einer allfälligen Wiederholung der gelungenen und überaus sympathischen Altonaer Büchertage lassen!

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P.S.: Hinweis, entnommen aus dem u.a. Kommentar: Ein naturalistischerer Messebericht eines nüchterneren Teilnehmers, dem wir auch das schöne Bildmaterial zu verdanken haben, findet sich auf der Seite des Börsenblatts online: http://tinyurl.com/yac6kcd
. - Vero!

2 Kommentare:

  1. ottoerich hat gesagt…

    Lieber, sehr verehrter Herr Plocher,

    vielen Dank für diesen herzerfrischenden Erlebnisbericht gleichsam aus dem Auge des Taifuns. Manch einer wird nun sagen: "Na, der Plocher haut aber ganz schön auf den Busch, übertreibt maßlos!". Aber ich kann bestätigen, es ist alles wahr, ganz wahr.

    Als Nachtrag möchte ich noch bemerken, dass Doktor Antiquar, Kollege Eisvogel samt Gattin sich selbdritt am Sonntagmorgen in der Blauen Stunde an der Elbe im Schneegestöber ein gutes Stündchen im Dauerlauf übten, einfach um zu zeigen: "Wir können auch sportlich." Leider mangelt es hier am fotografischen Material. Die Kamera war wegen Eingefrorenseins unbrauchbar.

    Ich rufe Ihnen ein fröhliches "Weiter so!" zu und gebe zu bedenken: Vielleicht sollten sie statt Bücher zu verkaufen, lieber solche schreiben. Nullus est liber tam malus, ut non aliqua parte prosit*.

    Und mit Prosit verabschiedet sich Ihr - ottoerich

    PS.: Zur Kenntnis. Ein gewisser Detlef Gerd Stechern (wer ist das?) hat im bblnet ein Gegenbeispiel für Ihre eloquente Darstellung geliefert. Blutarm und staubttrocken, hanseatisch eben. Aber urteilen Sie selbst: http://tinyurl.com/yac6kcd

    * [A. d. S.: passt zwar nicht (oder doch?), kommt aber so schön gelehrt daher und putzt ungemein, deshalb stehen gelassen].

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  2. Lieber OttoErich,

    vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. Ihre Anspielung auf das "Auge des Taifuns", in dem bekanntlich Windstille herrscht und sich folglich nichts bewegt, gibt mir enorm zu denken.

    Frohe Weihnachten, Ihr OWP

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