...ist manchmal gar nicht so schlimm, wie man denkt, selbst wenn es sich bei der Freundin um ein über 200 Jahre altes Kleinoktav in 4 Bänden handelt. Einerseits, weil man nach einer gewissen Betriebsamkeit als Antiquar auf eine größere Anzahl weiterer guter Freundinnen trostreich zurückgreifen kann; andererseits, weil der Verlust dieser Lebensgefährtin ja interessante neue Bekanntschaften ermöglicht. Ahhh, und schon wieder steht der Begriff des Antiquariats als erotischer Ort im Raum, für den der Verfasser dieser Zeilen schon heftig Prügel bezogen hat (obwohl unverdient), und die Rede von der grundsätzlich promiskuitiven Veranlagung des Antiquars macht die Runde.
Und wenn! Nichts abtötender als ziegenbärtige Altgelehrte, die monogam meckernd auf ihren Klassiker-Dünndruckausgaben sitzen wie der Zwerg Alberich auf dem Schatz der Nibelungen und sich nicht in die bunten, pulsierenden Weiten des Buchuniversums vorwagen wollen. Ein Leben ohne Affären - wie langweilig! Ein gewisser Durchsatz muß schon sein, dafür ist man schließlich Antiquar geworden (also wenigstens ich; denn als Sammler wäre mir nur der Schuldturm geblieben, in dem mein historisches Vorbild, Lord Mytton Esq., sein Leben ließ... aber dazu vielleicht ein anderes Mal).
Der Verlust einer guten Freundin -und dies ist entscheidend- ist umso leichter zu verkraften, wenn man weiß, daß sie in liebende Hände gerät. Das ist in diesem Falle garantiert, und freut mich insbesonders. Von Eifersucht keine Spur. Naja, vielleicht doch, aber ich werd's überstehen. - Ich sah sie übrigens erstmals 1993 auf einer Auktion in Königstein - ich war noch Student und blies Feueratem - mit 300 DM in der Tasche und einem durchrosteten Passat Kombi war ich frech angereist - die Bibliothek der Grafen von Schönborn-Buchheim wurde versteigert, und die Zuschläge kletterten in für mich unerwartete Höhen - Nur kurz sah ich sie vorbeiziehen, der Zuschlag war astronomisch - ich erwarb ein Physicotheologicum und fuhr geplättet nach Hause.
Einige Jahre später lief sie mir wieder über den Weg, diesmal hatte ich etwas mehr Zeit, sie näher kennenzulernen. Jetzt gefiel sie mir noch besser. Ich gab meinem Herzen einen Stoß und führte sie heim in mein Antiquariat. Dort stand sie bis heute, hat treu duldsam fünf Umzüge quer durch die Republik über sich ergehen lassen, lag monatelang in dunklen Banankisten, wurde gelegentlich durchgeblättert, bibliographiert, abgestaubt und balsamiert. Angeboten habe ich sie nur gelegentlich, gewissermassen bei "besonderen Anlässen", um sie dann wieder an ihren alten, recht gut versteckten Platz zu rücken. Die Zeit war noch nicht gekommen.
Die bedeutenden Herausgeber, der große Wieland, Schiller, Rochlitz, der tapfere Seume, und die große Seltenheit des Journals in Verbindung mit den geschmackvollen Einbänden haben mich über lange Zeit erfreut und begeistert. Dem inneren Wert der Ausgabe entspricht ihre äußere Schönheit. Dafür liebe ich das 18. und frühe 19. Jahrhundert - für die Individualität der einzelnen Exemplare, die nur wenig mit den Massendruckerzeugnissen späterer Epochen zu tun haben. Individuen schuldet man eine individuelle Behandlung. Man soll sie nicht auf irgendwelchen Internetauktionen verdaddeln, sie nicht wie sauer Bier auf irgendwelchen Plattformen anpreisen. Sie sind für mich als Antiquar natürlich auch Ware, aber nicht nur. Die Aura, der spezielle und einzigartige Charakter vieler dieser Werke verlangt nicht nur nach einer angemessenen Beschreibung und Präsentation, sondern auch nach dem Kairos, dem rechten Augenblick, in dem sie auf den passenden Liebhaber (oder die passende Liebhaberin) treffen. Ich freue mich, daß dieser nun gekommen ist. Auf der Quod Libet stand das Exemplar in der Vitrine, ein aufmerksamer Kollege erinnerte sich daran und informierte eine weitere Kollegin: Voilà. Ich trenne mich leichten Herzens.
Und man gehe mir doch mit Bemerkungen über den ökonomischen Unsinn und die Unrentabilität langer Lagerhaltungen! Bin ich Fischhändler?
Lebe wohl, meine Gute! Vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Es würde mich freuen.
Kirchner 6550. - Füssel: Göschen 614 (dort irrtüml. 8 statt 12 Hefte). - Erster Jahrgang der bereits nach zwei Jahren eingestellten, sehr seltenen Frauenzeitschrift mit namhaften Herausgebern in einem herausragend schön gebundenen, sehr gut erhaltenen Exemplar auf besserem, leicht getöntem Papier. - Ecken etwas bestoßen, oberer Schnitt angestaubt. Rückenschilder mit kleinen Ausbrüchen. - Aus der Bibliothek Schönborn-Buchheim mit deren großen Wappenexlibris auf den Innendeckeln und Bibliotheksschildchen auf den Vorderdeckeln. - Der Hauptinhalt der Zeitschrift, die monatlich erschien und 1807 unter dem Titel Selene von Rochlitz alleine herausgegeben wurde, bilden Erzählungen, Anekdoten, poetische Beiträge und Scharaden. Auch belehrende Aufsätze und die Beantwortung der Fragen Dürfen Weiber gelehrte Kenntnisse haben? Sind Weiblichkeit und wissenschaftliche Geistesbildung zu vereinigen? sind enthalten.
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