Dienstag, 24. November 2009

Der GOtt, der Eisen wachsen ließ,


der schuf, liebe Leser, irgendwann auch einmal das Weißblech und damit die Konserven- und Bierdose; als Fußstapfen seiner segensreich waltenden Allmacht an sich völlig ausreichend. Der unverständige Mensch aber verlötete um die Mitte des vorletzten Jahrhunderts in seiner notorischen Verstocktheit die Weißblechdosen mit Bleinähten und richtete damit wahrscheinlich die Crew John Franklins auf ihrer letzten Polarexpedition hin. Dialektik der Aufklärung? Dumm, saudumm jedenfalls, und wieder einmal typisch für das positivistisch irrelaufende 19. Jahrhundert.

Aber den Fortschritt in seinem Lauf halten ja bekanntlich weder Ochs noch Esel auf, und nach 150 Jahren ist die Geschichte, ohnehin in ewiger Verbesserung befangen, über diese Anfangsfehler lächelnd hinweg geschritten. Der postmoderne Mensch, obwohl in vielem nur noch ein Simulacrum seiner selbst, verleiht sogar den magersten technischen Produkten jene höhere Humanität und finale Ästhetik, die sich dankenswerterweise weit von dem kolonial-imperialistischen Schabernack der Altvorderen (Polarexpeditionen!) entfernt hat. Konsequent also nur die Markteinführung eines Produktes, das wie kein anderes in unserem uniformen Küchen-Alltag jenen Hautgout patriotisch-ganzheitlichen Weltbürgersinns zu etablieren imstande ist, dessen wir alle so dringend bedürfen.



Begrüßen, nein: feiern Sie mit mir diesen gesamtdeutschen Einheitstopf. Ich habe ihn in einem nordwestdeutschen Supermarkt gekauft, er war sehr billig. 20 Jahre Mauerfall haben ihn möglich gemacht, denn er stammt aus den blühenden Ländereien der brandenburgischen Ostprignitz. 20% mehr Inhalt erzeugen 20% mehr Genuß: Ganz natürlich, da in Alemania Genuß allezeit quantitativ, nämlich über die Menge der verschlungenen Nährmittel, definiert worden ist, von einigen zweifelhaften, an die degenerierten französischen Nachbarn angrenzenden Territorien abgesehen. Das Design des Topfes aber belegt zusätzlich: Noch lebt die alte Treue bzw. Deutschland eben doch einig Vaterland. Und Bleinähte sind von außen jedenfalls auch nicht zu erkennen. Die Zubereitung des Topfes aber verweist auf den hohen Stand der neudeutschen Kochkunst. Wir dürfen lesen: "Herd - Inhalt in einen Topf geben, gelegentlich umrühren, Kochen nicht erforderlich". Unerwähnt bleibt, daß der Topf beim gelegentlichen Umrühren auch erhitzt werden muß - so etwas versteht sich in der deutschen Einheitsküche nämlich von selbst. Das ist großartig, ganz großarrtig!

Wie, Sie finden die Bezeichnung Zigeuner-
Topf nicht ganz comme il faut? Eventuell sogar politisch teilweise unkorrekt? Na, na, es handelt sich immerhin um eine öh historisch gewachsene Bezeichnung, die mit dem Inhalt des Topfes nichts, aber auch gar nichts... Was? Nein, ich glaube nicht, daß der Name des Topfes eine Anspielung auf die neugewonnene Nomadenexistenz vieler Tausend ostdeutscher Mitbürger ist, die auf dem Weg in die Heimat oder zur Arbeit mit ihren bonbonfarbigen Kleinwagen frei- und sonntags die A9 verstopfen... Oh, Sie wollen wissen, was sich in dem Topf befindet? Nun, kleine, lustige Schweinderl, in Würfel geschnitten, mit Gemüse und feuriger Soße, und jede Vermutung, daß diese Schweinderl nicht gesamtdeutsch, sondern von jenseits der Oder... Wie, Sie sind der Meinung, Verfasser dieser Zeilen solle jetzt endlich den Mund halten, bevor die Sache vollständig entgleist? Na schön, aber eins sag' ich Ihnen: Essen werde ich diesen Topf nicht, sondern fein säuberlich wegstellen und aufbewahren. Als Wurfgeschoß für's Jüngste Gericht.

Und wenn Sie fragen, warum über einen Monat auf diesem Blog nichts los war? Ja, Herrschaften, weil ich schönen und seltenen Büchern hinterhergejagt, Messen bestückt, Berge von Auktionskatalogen durchpflügt, Kunden besucht, Ankäufe bearbeitet, Verkäufe abgewickelt und nebenher auch noch eine lädierte Katze gepflegt habe.

Aber ich gelobe Besserung. Schon bald gibt's wieder den gewohnten Pot-au-Livres bzw. Altdeutschen Büchertopf: Literaturgeschnetzeltes in feuriger Maroquinsauce. Mit approx. 20% mehr Genuß. Denn mehr ist einfach mehr.


Bon appetit,

Ihr Otto W. Plocher

4 Kommentare:

  1. Wir sind nicht immer einer Meinung - diesmal durchaus!
    Beste Grüße!

    AntwortenLöschen
  2. Komisch, bei mir im Supermarkt gab's aus Anlaß des Mauerfalls einen "Roma und Sinti-Topf". Ich habe ihn der Nachbarskatze vorgesetzt, sie hat danach 20 % länger geschnurrt, ob sie auch 20 % mehr Genuß hatte konnte ich leider nicht feststellen.
    Herzlich grüßt
    Rainer Schlicht

    AntwortenLöschen
  3. Schön zu sehen, wenn ein Mensch mit offenen Augen durch die Welt geht!

    AntwortenLöschen
  4. Am Wochenende bekamen wir ein Care-Paket aus dem Osten: von Leipziger Lerchen bis Bautzner Senf war alles dabei. Wir waren erstaunt ob der Vielfalt.

    Der "Einheitstopf" bereichert und ergänzt das Präsentkörblein auf ganz entschiedene um nicht zu schreiben entscheidende Weise.

    Vielen Dank dafür - Ihr oe

    AntwortenLöschen