Donnerstag, 1. Oktober 2009

Formbewußt und dünn ausgeblasen


Liebe Buchfreunde, Sammler und Kollegen,

ich möchte Ihnen den 16 Katalog des Antiquariats Andreas Müller & Solveig Draheim vorstellen (die Bilder sind wie immer durch Anklicken zu vergrößern).

Vorbemerkung: Andreas Müller (früher im Taunus ansässig, heute in Potsdam) hat nach langen Jahren im Auktionsgewerbe bei den Firmen Schramm (Kiel) und Reiss (Königstein) im Jahre 2001 seine eigene Katalogarbeit begonnen mit dem herausragenden Katalog Fundgruben des Orients und der Antike – Reflexe orientalischer und antiker Sprache und Kultur in Büchern des 17.-19. Jahrhunderts. Die Themengebiete der seitdem halbjährig erschienen, opulent bebilderten und aufwendig gedruckten Kataloge im Din A4–Format waren Museologie, Naturgeschichte, Geologie, Wunderkammerliteratur und wissenschaftliche Autographen / Zeitschriften zu den genannten Themengebieten, bevorzugt des 17. und 18. Jahrhunderts. In seinen Katalogen finden sich nicht nur einschlägige große Standardwerke und außerordentlich seltene, versteckte Kleinschriften (nach Möglichkeit in exzeptionellen, qualitativ oft einmaligen Einbänden), sondern auch Kunstkammer–Objekte wie Antike Gläser, Apothekergefäße, Daktyliotheken, Xylotheken (Holz–Bibliotheken), Herbarien und Pomologische Kabinettstücke (Wachsfrüchte). Damit beschreitet Andreas Müller einen Weg jenseits der traditionellen Fixierung des Buchantiquars auf Gedrucktes, den man nur als äußerst gelungen bezeichnen kann.


Andreas Müller präsentiert in seinem großzügig bebilderten 16. Katalog zusammen mit seiner Lebensgefährtin Frau Solveig Draheim, die mit ihm das Geschäft seit Ende des letzten Jahres führt, einen repräsentativen, 68seitigen Querschnitt von 58 Positionen aus seinen Spezialgebieten mit Schwerpunkt Orient / Asien – aber nicht nur. Das Umschlagsbild mußte von uns leider zensiert werden (schließlich sind Kinder im Hause), nicht aber die folgende Trouvaille der besonderen Art: Die islamische Gemmensammlung des Duc de Blacas, das früheste Handbuch islamischen Edelsteinschnittes, 1828 von J.T. Reinaud herausgegeben. Der Katalog, aus den Pressen der Königlichen Druckerei, an sich schon selten genug, in diesen splendiden Restaurations-Einbänden (langnarbiges rotes Maroquin mit Wappensupralibros von Charles X und blauen Seidenvorsätzen) aber sicherlich ein exemplaire singulaire (Description des Monumens Musulmans du Cabinet de M. le Duc Blacas; 7500 Euro).


Es finden sich noch weitere Köstlichkeiten, angefangen bei Behrens: Mecklenburgische Land-Baukunst von 1796 (2000 Euro), für die historische Dokumentation von Guts- und Landhäusern im Nordosten der Republik von einiger Wichtigkeit; Dalbergs Abhandlung Ueber die Musik der Indier (1802; 1600 Euro); die bedeutende Zeitschrift Eichhorns Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur aus den Jahren 1787-1801 (2800 Euro; von großer Bedeutung für Goethes Orient-Rezeption); ein in blindgeprägtes weißes Schafleder gebundenes, barockes Schriftmusterbuch aus Nürnberg in blendendem Zustand (Ernesti: Die Wol-eingerichtete Buchdruckerey, 1733, in Quer-4°) für gar nicht übertriebene 3000 Euro, das Exemplar ist wirklich phantastisch; eine frühe Wasserzeichenkunde von Gotthelf Fischer von Waldheim: Versuch die Papierzeichen als Kennzeichen der Alterthumskunde anzuwenden (1804; 850 Euro); einige Holztapeten [!] des frühen 20. Jahrhunderts (500 Euro); vier Werke des Asienforschers Julius von Klaproth (zwischen 180 und 2800 Euro) und drei seines Widersachers Isaac Jacob Schmidt: Den ersten mongolischen Bibeldruck (St. Petersburg 1819; 4500 Euro), seine Geschichte der Ost-Mongolen (ebenda 1829; 2800 Euro) und die Tibetische Grammatik, gedruckt in russischer Sprache (dito 1839; 3000 Euro).

Was soll man da noch sagen? Man blättert, die Herztropfen auf dem Teetisch, vorsichtig weiter. Ein frisches Exemplar von Niebuhrs Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern in guten Lederbänden der Zeit (1774-78; 8500 Euro), flankiert von den Kieler Blättern, in denen sich die Biographie des wackeren Forschers aus der Feder seines Sohnes findet (1815-18; 600 Euro, ein Friedenspreis) überraschen fast gar nicht mehr; die zweisprachig gedruckte, dreibändige Hafis-Ausgabe Rosenzweig-Schwannaus (1858-64; 2800 Euro) in außergewöhnlich qualitätvollen Halblederbänden ebensowenig. Das Auftreten der vollständigen Indischen Bibliothek August Wilhelm Schlegels in den Original-Umschlägen (also im Zustand der Verlagsauslieferung von 1820-30; 2800 Euro) allerdings schon: Mon Dieu!




Daß die praktisch unauffindbaren 12 Seiten Druckmuster für Schlegels Sanskrit-Typographie aus dem Jahre 1821 (Specimen novae typographiae Indicae, in einem Sammelband des Schlegel-Schülers de Chézy; 4500 Euro) auf dem Fuße folgen, ist von berückender Folgerichtigkeit und zeigt die kompilatorische Intelligenz unseres Antiquar-Doppelsternsystems. Die Beiden halten nicht nur wie gute Hirten die Schäflein zusammen, sondern sie bringen auch entlaufene Exemplare mit erheblichem Aufwand (und unter erheblichen Aufwendungen) wieder an den Ort Ihrer Bestimmung zurück, wie Castor & Pollux auf der immerwährenden Suche nach dem Goldenen Vlies. Antiquariat, wie es sein soll.

Fast überflüssig, weitere Höhepunkte des Katalogs zu erwähnen: Die anonyme Ölstudie eines Koboldmakis auf einem Aststumpf (um 1830; 1200 Euro); die erste Ausgabe des Katalogs der Prillwitzer Idole, nach Beringers Lügensteinen die bekannteste Fälschung des 18., Jahrhunderts: Der Neubrandenburger Syndikus Pistorius hatte 1771 den Fund eines großen wendischen Pantheons in Prillwitz am Tollensee inszeniert und die gelehrte Welt auf das Heftigste gefoppt (Die gottesdienstlichen Alterthümer der Obotriten; 1500 Euro. - Muß doch mal wieder Fontanes Vor dem Sturm lesen!). – Kompositorisch ausgezeichnet: Die (auch alphabetisch) letzte Position des Katalogs, Withofs Das meuchelmörderische Reich der Assassinen, das zum Verständnis des derzeitigen (behaupteten?) Clash of Religions mehr als erhellend sein könnte (1765; der Preis von 1350 Euro nun wirklich andante un poco tranquillo).

Zu Müllers & Draheims Angebot gehören immer wieder Objekte, die -sinnreich um die Bücher gruppiert- vergangene Welten in Kabinettform vor uns aufscheinen lassen. Ihre außergewöhnlichen Kataloge behandeln nicht nur thematisch die Kunst– und Wunderkammern, sie entspringen aus dem Geist derselben. So steht neben der Stapelkasten-Daktyliothek Bertel Thorwaldsens mit ihren 50 Gemmen auf 4 Holztableaus, die den seltenen Fall einer Oeuvre-Daktyliothek repräsentiert (1831 von Tommaso Cades ediert; 6000 Euro), eine kleine Sammlung Mecklenburger Waldgläser: Binderandgefäße, Bouteillen, Gnidelsteine, Häfen, Satten und Tintenfässchen, grünlich-halbdurchsichtig, und ebenso kompetent, gründlich und einleuchtend beschrieben wie alle anderen Objekte dieses bezaubernden Katalogs, formbewußt und dünn ausgeblasen.


Als abschließende Rarität ersten Ranges möchte ich auf eine Tisch-Sonnenuhr von Franz Xaver Joseph Bovius aus Solnhofener Plattenkalk im Format 22x19,5 cm (1712; 11500 Euro) hinweisen. Ich gebe Ihnen unter der Abbildung auch hier die vollständige Titelaufnahme als Beleg pars pro toto für die Qualität aller Titelbeschreibungen des Katalogs:



Eine persönliche Bitte. Falls Interessenten sich den Katalog bestellen möchten, bitte ich höflich um eine Bestellung bei Andreas Müller & Solveig Draheim via Brief und der Beilegung von 10–15 Euro. Wohlgemerkt: Ich bitte darum, nicht die Kollege nMüller & Draheim. Anerkennen Sie deren unendlichen Fleiß & stupende Kenntnis. – Der Katalog erscheint in kleiner Auflage und war in der Herstellung aufwendig.

Danke für Ihr Interesse, Ihr Otto W. Plocher

Antiquariat Andreas Müller & Solveig Draheim
Carl-von-Ossietzky-Strasse 27
14471 Potsdam
Tel. 0331-2437248
Fax 0331-2901296

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