Sonntag, 9. August 2009

„Eine Quelle von tausend Vergnüglichkeiten“



Eberts Naturlehre für die Jugend



Liebe Leser,


heute möchte ich Ihnen ein naturgeschichtliches Werk des späten 18. Jahrhunderts aus unserem Lagerbestand vorstellen. Auch wenn es nicht unmittelbar neben den ganz großen, prachtvoll colorierten Editionen der Zeit steht, den Röselschen Insecten-Belustigungen, dem Conchylien-Cabinett Martinis oder Frisch' Vorstellung der Vögel in Deutschland, ist ihm trotzdem ein Platz in der Geschichte der naturhistorischen Literatur sicher. Als beliebte Jugendlektüre war es in zahlreichen Haushalten der „Generation Goethe“ vertreten und wurde wegen seiner schönen Abbildungen, seines informativen Gehalts und des zeittypischen Briefstils, der den kleinen Lesern Belehrendes in verdaulicher Portionierung vorlegte, geschätzt.




















Zunächst die Titelaufnahme und Zustandbeschreibung, danach der erläuternde Kommentar


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Johann Jacob Ebert: Naturlehre.


Erster [bis dritter] Band. Troppau, gedruckt bei Joseph Georg Traßler, und im Verlage der Kompagnie. 1785.


Kl.-8°. [I] 559, (1); [II] 494, (1); [III] 528 Seiten. Mit coloriertem Frontispiz und zusammen 49 handcolorierten, meist einfach gefalteten Kupferstichen. Etwas spätere, braun marmorierte Pappbände mit roten Rückenschildern, vergoldeter Titelprägung und schlichten Goldfileten an den Kapitalen.


Die Ecken und Kapitale der nicht auffällig luxuriösen, aber ansprechenden Einbände gering bestoßen und berieben, Rückenschild von Band 3 mit minimalen Ausbrüchen. – Die Vorsätze mit kleinen Datumsstempeln des 20. Jahrhunderts. – Kleiner Teefleck auf dem Schnitt von Band 3, minimal auf die Seitenränder ausgreifend. - Titel von Band 1 etwas angestaubt und gering fleckig, Colorierung des Frontispiz etwas abgeklatscht. Titelblatt von Band 2 mit ordentlich ausgebesserter, wohl produktionsbedingter Fehlstelle (minimaler marginaler Buchstabenverlust). - Der Text insgesamt fast nicht gebräunt und sauber, wenn auch gelegentlich im Druck nicht ganz satt. Wenige, unbedeutende Braunflecken. – Die montierten Kupfer meist außerhalb der Darstellung vereinzelt mit geringen Fleckchen und Bräunungen, das Trägerpapier zum Bund hin bei einer Tafel sauber hinterlegt. Eine Tafel (Tapir) im Bildhintergrund wenig störend gebräunt, eine weitere (Vogel Strauß) mit nicht durchschlagender Bräunung recto. Eine Tafel etwas schräg bis eng vor den Bildrahmen beschnitten. Ein halbes Dutzend der Tafelränder (astronomische Darstellungen in Band 1) etwas vorstehend und am Rand daher gering gebräunt, die Falze und Tafelränder ansonsten alle für ein Werk dieser Art ungewöhnlich unversehrt und frisch. – Die Kupfer zum Teil blockweise in den falschen Band eingebunden, was jedoch aufgrund deren deutlicher Numerierung nicht sehr ins Gewicht fällt. – Erfreulich wohlerhaltene Ausgabe in gutem, sauberem Altcolorit und uniformen Einbänden des frühen 19. Jahrhunderts.


Poggendorff: Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften I, Spalte 641. – Wegehaupt: Alte deutsche Kinderbücher No. 515. – Brüggemann/Ewers: Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur III, Seite 1010ff. gibt 48 Kupferstiche an. (Die genannten Bibliographien verzeichnen nur die seltene, größerformatige Originalausgabe von 1776-78 bei Weidmann in Leipzig).


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Kommentar:


Der Verfasser (geboren 1737 in Breslau, gestorben 1805 in Wittenberg) lehrte Mathematik an der Universität zu Wittenberg. Das Ziel seines Werkes, erstmals 1776-78 erschienen, war es, ältere Kinder und Jugendliche „von der Vortrefflichkeit der Naturlehre zu überzeugen und sie nach einer vollkommenern Kennntniß dieser Wissenschaft begierig zu machen", wie er selbst im Vorwort ankündigt. Die Zielgruppe bestand in Kindern „vornehmlich aus dem gebildeten Bürgertum und dem Adel“ (Brüggemann / Ewers); es ist aber für den Beginn des „bürgerlichen Zeitalters“ bezeichnend, daß von dem ursprünglich sehr teuren Werk einige Jahre später ein etwas weniger aufwendiger Nachdruck, den sich eine breitere, bildungsbeflissene Schicht leisten konnte, in Troppau erschien. Zu diesem Nachdruck zählt unser Exemplar.


In insgesamt 275 „Briefen“ behandelt Ebert die gesamte Naturlehre der drei Reiche, des Mineral-, Pflanzen- und Tierreichs, indem er von den mikro– und makrokosmischen Voraussetzungen, den „allgemeinen Eigenschaften der Körper nebst ihren vornehmsten Unterschieden“, ferner der „Einrichtung des Weltgebäudes“ ausgeht, also mit der Physik und Astronomie als Elementarwissenschaften einleitet, sodann ausführlich zur Zoologie und Botanik übergeht und mit Briefen zum Mineralreich schließt. Seine Naturlehre ist einerseits motiviert von den neuesten Ideen der aufklärerischen Pädagogik, welche die Wichtigkeit einer frühen „vernünftigen Erziehung und Bildung“ betont (Basedow und sein Elementarwerk mögen stellvertretend genannt sein), andererseits steht sie in der Tradition physikotheologischen Gedankenguts. Die Physikotheologie, eine vielschichtige Bewegung der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, suchte -vereinfacht gesagt- Belege für die Existenz Gottes durch die genaue Betrachtung der Natur zu sammeln. Der Schöpfer habe sich in seiner Schöpfung den Menschen offenbart, nun sei es die Aufgabe des Menschen, die Natur zu erforschen und auf dem Wege eines „natürlichen Gottesdienstes“ dem Ewigen zu huldigen. Bei Ebert laufen diese beiden aufklärerischen Linien zusammen:


„Überdies enthält außer der Offenbarung keine Wissenschaft so viele und so wichtige Beweise von der Allmacht, Weisheit und Güte des Schöpfers, als die Naturlehre. Sie ist das beste Mittel wider den Aberglauben und die daraus entstehende unnötige Furcht. Sie ist eine Quelle von tausend Vergnügungen und Annehmlichkeiten...“.


Das aufklärerische Ziel des „Prodesse et delectare“, des „Nutzens und Erfreuens“, spricht aus diesem Zitat. Brüggemann/Ewers bemerken treffend, daß in der Naturlehre die „curiosen Fälle ... einen besonders breiten Raum einnehmen“, was die Lektüre über weite Strecken delektabel und unterhaltsam macht. Nicht alle Mythen und Legenden werden von Ebert widerlegt: Zwar bestreitet er die Legende vom Vogels Phönix; „die Geschichte vom „sprechenden Hund“, von dessen Existenz sich 1715 die Pariser Akademie der Wissenschaften überzeugt habe“, wird aber „für bare Münze genommen“.




Von besonderem Interesse sind die 49 Illustrationen, die den drei Bänden als Anhang beigegeben sind. Die Tafeln des ersten Bandes zeigen astronomische Motive, physikalische Experimente, eine Kompaßrose, Wirbelstürme auf dem Meer, Lichtbrechung und Regenbögen sowie Walfische und Meerestiere (der zoologische Teil der Kupfer wurde, absichtlich oder irrtümlich, in Band 2 verbunden). Die Tafeln des zweiten Bandes (teilweise wiederum in den dritten Band verbunden) beinhalten schöne Schmetterlings– und Insektendarstellungen, Korallen und Landsäugetiere, darunter Elefant, Faultier, Seehund, Kamel und Dromedar. Die Abbildungen des dritten Bandes zeigen (Menschen)Affen und Pflanzen. – Die unsignierten Kupferstiche sind meistensteils bekannten Werken der Naturgeschichte entnommen und verkleinert nachgestochen, so z.B. Rösel von Rosenhofs Insecten-Belustigungen (Schmetterlinge), Egede–Saabyes Naturgeschichte Grönlands und Zorgraders Beschreibung des Grönländischen Walfischfangs und Fischerei (Walfische), Catesbys Werken über Vögel und Fische sowie dem Herbarium Blackwellianum (nach Brüggemann/Ewers und eigener Autopsie). Das spricht für den wissenschaftlichen Ernst der Naturlehre, die eben nicht nur unterhalten, sondern durch möglichst genaue und authentische Bebilderung auch nützen will.


Einige Abbildungen habe ich für Sie in diesen Text eingebaut, weitere finden Sie aus technischen Gründen in dem vorhergehenden, separaten Post [Kupfer zu Ebert]. Sie sind alle einzeln von Hand akkurat coloriert. Auf den Schmetterlingsflügeln können Sie noch die einzeln gesetzten Deckweiß-Punkte sehen und fühlen. Jugendbücher, die Abbildungen enthielten, wurden natürlich gern und oft angeschaut und sind meistens in einem bedauerlichen Zustand. Manchmal fehlen Tafeln, oder die vorhandenen Tafeln sind stark verschmutzt und eingerisssen. Unser Exemplar fällt durch seinen sehr guten Gesamtzustand auf und ist dadurch auch als schönes Geschenk für Jugendliche und naturhistorisch Interessierte geeignet, wenn dieses werbende Wort in eigener Sache zum Schluß hin noch erlaubt ist. Mich jedenfalls hätte man zur Kinderzeit mit diesem bunten Kosmos zwischen sechs Buchdeckeln für eine lange Zeit sehr glücklich machen können.


Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!


Ihr Otto W. Plocher




2 Kommentare:

  1. Wunderbar. So wünscht man (in diesem Fall ich) sich einen Post. Warte schon auf den nächsten dieser Art. Natürlich mit Rücksicht auf das im entstehen begriffene Corpuswerk zur Katze im Antiquariat.
    Schöne Grüße in den Norden.

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  2. Lieber Ortel,

    vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. Ich verspreche, viele Bücher zu präsentieren; indes kann es nicht immer dabei so bunt zugehen wie in diesem Eingangspost.

    Sie kennen ja den Aufwand, den eine Mischform aus Text und Bildern bei der Erstellung eines solchen Posts macht, und die technischen Widrigkeiten von Ihrem eigenen Blog, den ich mit größtem Vergnügen als eine der Initialzündungen für den meinen erwähnen darf.

    Freundliche Grüße in die Barbarey,

    Ihr OW Plocher

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